Vom Mondlicht berührt
wird Ihnen helfen können. Ich habe meine Tante zu ihr geschickt. Die hatte so schlimme Migräneanfälle, dass sie drei- oder viermal pro Jahr ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Seit sie bei ihr war, ist sie geheilt.«
»Und ihr Sohn? Ist der auch ein guérisseur ?«
»Na, Sie wissen doch bestimmt, wie das funktioniert. Er wird ihre Gabe wahrscheinlich erben. Wenn sie irgendwann keine Freude mehr an der Aufgabe hat, gibt sie die Gabe sicher an ihn weiter.«
Unweigerlich musste ich an Mamies Worte denken. »Ich habe gehört, dass man immer seltener guérisseurs findet, weil die Nachkommen die Gabe nicht annehmen wollen.«
»Oh, der wird sie schon annehmen. Wie gesagt, die sind beide ein bisschen ...« Wieder drehte sich ihr Finger vor der Schläfe. »Aber bis sie sich zur Ruhe setzt, kümmert er sich um das Geschäft und um sie. Er ist ein guter Sohn. Im Gegensatz zu meinem.« Sie schüttelte verzweifelt den Kopf. »Der ist ein totaler Versager. Gerät immer wieder mit der Polizei aneinander.«
»Vielen Dank, Sie haben mir sehr weitergeholfen«, sagte ich schnell, um diesen Auftakt zu einem allem Anschein nach langen und qualvollen Gespräch im Keim zu ersticken. Ich winkte zum Abschied und sie winkte zurück mit den Worten: »Kommen Sie in zwei Wochen wieder. Oder besser zweieinhalb, um ganz sicherzugehen.«
Am darauffolgenden Samstag, kurz nach Mittag, lag ich auf Vincents Sofa, als Ambrose anrief. »Rate mal, wen ich getroffen habe, Katie-Lou. Oder vielmehr, wer mich getroffen und meinen Tisch hier im Café in Beschlag genommen hat, bevor ich überhaupt zustimmen konnte.«
Ich grinste. »Dann gib mir Georgia mal.«
Schon hörte ich Georgias Stimme, inklusive aufgesetztem Südstaatenakzent versteht sich. »Hallo, kleine Schwester. Mein Lunchdate hat mich hängen lassen, aber glücklicherweise bin ich diesem Prachtkerl hier in die Arme gelaufen, der mir völlig selbstlos angeboten hat, mich durch die Stadt zu begleiten. Und weil ich noch keine weiteren Pläne für heute habe, werde ich mir diese Gelegenheit natürlich nicht entgehen lassen, ein wenig mit ihm herumzuprotzen.«
Im Hintergrund konnte ich Ambrose hören. »Ich hab dir doch schon vorhin gesagt, dass ich heute absolut keine Zeit habe. Nimm’s mir nicht übel, aber ich habe Besseres zu tun, als den ganzen Nachmittag über mit dir von Atelier zu Atelier zu ziehen.«
»Ach, beklag dich nicht«, tadelte meine Schwester ihn. »Du willst es doch auch. Und schon in ein paar Stunden wirst du mir dankbar sein, weil an jedem deiner Finger mehr süße, hippe Künstlerinnen hängen, als du zählen kannst.«
Ich lachte. »Wo seid ihr?«
»Im Café Sainte-Lucie. Ach, und Ambrose hat gesagt, ihr kommt heute Abend alle mit zu Sebastiens Auftritt.« Verdammt! Ich hatte völlig vergessen, Vincent von dem Konzert zu erzählen.
»Hab ich nicht!«, erwiderte Ambrose. »Ich habe bloß gesagt, ich würde Vincent fragen, ob –«
»Sag Vincent, Ambrose kommt mit«, sagte Georgia, Ambroses Einwand ignorierend. »Und bring Jules und Arthur auch mit. Seb und seine Jungs sind die Vorband einer richtig guten britischen Band. Ich kann euch alle auf die Gästeliste setzen lassen.«
»Solang das Konzert nicht in der Nähe von Denfert ist«, sagte ich und erinnerte mich an die von Numa durchsetzte Gegend, in der Luciens Klub gelegen hatte.
»Nö, ist es nicht. Es ist in der Rue des Martyrs, wo es ziemlieh viele Kneipen mit Livemusik gibt. Südlich von Montmartre«, erwiderte Georgia. »Ambrose will sein Handy zurück.«
»Ich möchte nur noch mal klarstellen, dass ich nicht wirklich zugesagt habe, für keinen von uns«, dröhnte nun Ambroses tiefe Stimme durchs Telefon. Schon piepte mein Handy, weil ein anderer Anrufer anklopfte. Es war Georgias Nummer, weshalb ich Ambrose kurz warten ließ.
»Ich war noch nicht fertig«, hörte ich sie kichernd sagen, während Ambrose ihr das Telefon abnahm. »Seid einfach alle pünktlich. Neun Uhr, Divan du Monde«, rief sie noch, bevor beide Nummern von meinem Display verschwanden.
»Meinst du wirklich, dass Ambrose in Sicherheit ist, wenn er sich in den Händen deiner Naturgewalt von Schwester befindet?«, fragte Vincent, der sich am anderen Ende seines Zimmers befand. Ich lag auf dem Sofa, mit meinem Schulbuch über die moderne europäische Gesellschaft auf der Brust. Teil meiner Abmachung mit Papy und Mamie war, dass ich die meiste Zeit des Wochenendes bei Vincent zu Hause verbringen durfte, solange ich nur meine
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