Vom Mondlicht berührt
Hausaufgaben machte.
Weil ich noch gar nicht wusste, was ich nach der Highschool machen wollte, hatte ich Vincent verboten, das Thema anzusprechen. Aber ich tendierte schon Richtung Hochschule. Und da ich ja jetzt einen ziemlich guten Grund hatte hierzubleiben, musste ich auf meine Noten achten, damit ich mir den Weg zu allen Pariser Universitäten offenhalten konnte. Dennoch wirkte der Abschluss in anderthalb Jahren unendlich weit weg; Vincent hingegen war gerade so nah, dass es mir schwerfiel, mich zu konzentrieren.
»Georgia hat gerade dafür gesorgt, dass wir alle heute Abend zum Auftritt ihres Freundes kommen müssen«, sagte ich und vertiefte mich wieder in mein Geschichtsbuch.
»Gute Idee«, sagte Vincent. Den Blick wieder auf seinen Laptop gerichtet, fügte er hinzu: »Arthur und Violette müssen auch mal lernen, etwas lockerer zu werden.«
Ich verkniff mir den Kommentar, dass Georgia – sicher wohlweislich – Violette nicht eingeladen hatte. Aber vielleicht würde ein gemeinsamer Abend die beiden ja ein wenig versöhnen – sofern sie es schafften, ein paar Stunden nett zueinander zu sein. Beim Gedanken an ihre gegensätzliche Persönlichkeit wurde mir jedoch ein bisschen anders.
»Außerdem habe ich den neuen Mann an Georgias Seite noch nicht kennengelernt. Vielleicht hätte ich schon mal prüfen sollen, ob er Kontakt zu den Numa hat.«
Ich konnte nicht einschätzen, ob er das im Spaß sagte oder es ernst meinte. »Abgesehen von seiner unglaublichen Coolness, scheint er eher harmlos zu sein«, sagte ich und blätterte eine Seite weiter. Ich grinste ihn spielerisch an und sagte: »Komm doch bitte mal kurz her.«
»Netter Versuch.« Ein verschmitztes Grinsen zeichnete sich auf seinen Lippen ab. »Aber ich muss diese E-Mail an Charlotte fertig schreiben und du musst Geschichte lernen.«
»Muss ich gar nicht, ich bin doch quasi mit einem sprechenden Geschichtsbuch zusammen. Für meine letzten beiden Aufsätze musste ich nicht mal Artikel raussuchen, sondern mich einfach nur zurücklehnen und dir zuhören.«
»Vielleicht findet es dein Geschichtslehrer aber komisch, wenn du mich zu deiner nächsten Prüfung mitschleppst, damit ich dir die Antworten zuflüstere.«
»Hey, die Idee ist gar nicht schlecht!«, sagte ich ganz im Ernst. »Wenn ich Glück habe, bist du sogar volant, wenn meine Abschlussprüfungen sind.«
Vincent schüttelte entrüstet den Kopf und wandte sich wieder dem Bildschirm zu.
»Aber Spaß beiseite, komm doch mal eben«, sagte ich unschuldig. »Ich habe eine wirklich wichtige Frage zum Zweiten Weltkrieg.«
»Also gut«, seufzte er. Er klickte auf »Senden«, klappte den Laptop zu und kam zu mir. Seit seiner letzten Ruhephase waren erst ein paar Tage vergangen, doch schon zeichneten sich wieder dunkle Ringe unter seinen Augen ab. Die Erschöpfung trübte sein sonst vor Vitalität strotzendes Auftreten und gab ihm fast etwas Zerbrechliches. Am liebsten hätte ich ihn vor dem beschützt, was ihm so zusetzte. Er sah mich aufmerksam an, als wollte er versuchen, meine Gedanken zu lesen. »Nun? Dann lass mal deine Frage hören.«
Mühsam löste ich den Blick von seinem Gesicht und suchte stattdessen auf der aufgeschlagenen Buchseite nach einem Geistesblitz. »Ich lese gerade etwas über die Widerstandskämpfer, die immer per Fahrrad zwischen Paris und dem Land gependelt sind, um euch – den Maquis – Nachrichten der Kommandozentrale mitzuteilen.«
Vincent nickte. »Das war nicht ungefährlich. Sie wurden manchmal von den deutschen Soldaten abgefangen. Deshalb hat man jemanden geschickt, der nicht auffiel. Meist waren das Frauen oder Kinder.« Er zögerte. »Und was ist jetzt deine Frage?«
»Oh, die ist sehr konkret«, sagte ich, um Zeit zu schinden, bis mir eine Frage einfiel. Ich wollte ja nur seine Nähe, aber die half meiner Konzentrationsfähigkeit nicht wirklich.
Vincents Augen wurden schmal, er schaute mich zweifelnd an.
»Äh, habt ihr Maquiskerle euch denn auch ab und zu nach Gesellschaft gesehnt, wenn ihr da so im Unterholz gesessen und fiese Hinterhalte für die Deutschen ausgebrütet habt?« Ich streckte meine Hand aus und begann, mit seinen Nackenhaaren zu spielen, während ich langsam sein Gesicht zu meinem zog.
»Was genau hat das denn mit deinen Hausaufgaben zu tun?«, fragte er skeptisch.
»Nichts«, antwortete ich. »Ich habe mich nur gefragt, was wohl hätte passieren können, wenn ich als sexy Botin aus Paris zu dir in die Wälder geradelt wäre.
Weitere Kostenlose Bücher