Vom Mondlicht berührt
wieder einmal waren wir um den wuchtigen Kamin in dem riesigen Saal versammelt. Jean-Baptiste berichtete, was sie bei Geneviève und Jules gefunden hatten, was – gelinde gesagt – nicht viel war. Die Orte, die in Haus und Atelier durchwühlt worden waren, ließen darauf schließen, dass das begehrte Objekt ein Dokument sein musste. Doch weder Geneviève noch Jules hatten den Schimmer einer Ahnung, was die Numa bei ihnen gesucht haben könnten.
»Ich zermartere mir schon die ganze Zeit das Hirn«, sagte Jean-Baptiste, einen Finger an die Schläfe gelegt, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, »aber mir will und will nichts einfallen, auf das unsere Feinde es abgesehen haben könnten.«
»Vielleicht suchen sie Kontodaten?«, warf Violette ein. »Kontonummern oder Ähnliches.«
»Das wäre natürlich eine Erklärung«, sagte Jules. »Aber wir erledigen mittlerweile alle unsere Bankgeschäfte online, es gibt also gar keine Papierdokumente mehr. Davon mal abgesehen, selbst wenn die Numa durch ihre zwielichtigen Geschäfte nicht stinkreich wären, bezweifle ich stark, dass sie es ausgerechnet auf unsere Konten abgesehen hätten, sofern sie denn tatsächlich mal Geldnöte plagen würden.«
Violette runzelte die Stirn.
»Dürfte ich etwas beitragen?«, fragte Gaspard. Er war so wahnsinnig höflich, dass er sich niemals in ein laufendes Gespräch einmischte, ohne vorher um Erlaubnis zu bitten. Jean-Baptiste nickte ihm zu. »Obwohl ich es nicht für unwichtig erachte, herauszufinden, was die Numa suchen könnten, möchte ich dennoch zu bedenken geben, dass es sich hier vielleicht auch um ein Ablenkungsmanöver handeln könnte. Möglicherweise haben sie etwas ganz anderes, weitaus Größeres vor.«
Ich meldete mich zu Wort. »Charlotte hat vorhin am Telefon etwas erwähnt, als wir hierher unterwegs waren.« Alle wandten sich mir zu. »Charles hat sich bei ihr gemeldet. Er ist in Berlin bei einer Gruppe von Revenants untergekommen. Er hat Charlotte kontaktiert, weil er Gerüchte aufgeschnappt hat, dass die Numa in Paris eine große Sache planen.«
»Ja, sie hat auch bei mir angerufen«, setzte Gaspard zu sprechen an, wurde jedoch von Violette unterbrochen.
»Wieso wurde ich darüber nicht unterrichtet?«, rief sie entrüstet. Ihr Gesicht war pink – der beste Beweis dafür, dass sie hochoffiziell stinksauer war.
»Ich ... ich wollte dich noch zurate ziehen, Violette«, stotterte Gaspard. »Aber Charlotte rief mich gestern Abend an und aufgrund der Einbrüche heute war einfach so viel los.«
Violette rieb sich verzweifelt die Schläfen. »Wie soll ich bitte schön helfen, wenn mir solch wichtige Informationen vorenthalten werden?«
Alle starrten sie an. Dann schielte Ambrose zu mir rüber, verdrehte die Augen und formte mit den Lippen die Worte Drama Queen.
Plötzlich schaute sie sich im Saal um, als wäre ihr gerade erst bewusst geworden, dass wir auch alle da waren, und wandte sich danach wieder an Gaspard. »Es tut mir leid«, sagte sie. »Ich gebe mir einfach so große Mühe, folge jeder erdenklichen Spur, die sich bietet, und lande doch immer wieder in einer Sackgasse ... während uns so wichtige Informationen einfach zufallen.« Sie stand auf, ging zu Gaspard, legte ihm ihre zierliche Hand auf den Arm und führte ihn von uns weg.
»Was genau hat Charlotte gesagt?«, bohrte sie nach, während sie schon fast durch die Tür waren.
Auf der anderen Seite des Kamins saß Arthur in einem Sessel und schüttelte müde den Kopf wie ein Ehemann, der schon lange Jahre unter den Gefühlsausbrüchen seiner Frau zu leiden hat. Er zog einen Stift und ein Notizbuch aus seiner Innentasche und fing an zu schreiben.
Ich drückte Vincents Hand. Er saß vor mir auf dem Boden, den Ellbogen auf die Couch gelegt, damit er meine Hand halten konnte. Er sah zu mir und ich deutete mit dem Kopf zu Arthur. »Macht er sich Notizen?«, flüsterte ich. Vincents Blick wanderte einmal quer durch den Raum. »Nein, er schreibt«, antwortete er.
»Wie,›er schreibe‹? Was soll das heißen?«, fragte ich fasziniert.
»Er ist Autor. Buchautor, um genau zu sein.« Vincent musste über meinen erstaunten Gesichtsausdruck lachen. »Was denn? Bist du überrascht, dass wir auch noch was anderes machen, als Leben zu retten? Arthur und Violette müssen ihre Zeit schließlich irgendwie rumkriegen. Die haben ja nicht mal einen Fernseher.«
»Was schreibt er denn?«
»Hast du schon mal von Pierre Delacourt gehört?«
»Das ist doch der Typ, der
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