Vom Nehmen Und Genommenwerden
und die Angst vor dem Verlassenwerden. Mit Ãberflutung ist ein Zuviel an Zuwendung gemeint, eine Vereinnahmung, begleitet von einem Gefühl der Bedrohung, manipuliert und kontrolliert zu werden. In der Angst vor dem Verlassenwerden zeigt sich unsere Furcht vor Abweisung. Hier reagieren wir auf ein Zuviel an Distanz und drücken den Wunsch aus, wahrgenommen und gesehen zu werden.
Jedes Kleinkind ist existenziell auf die Erfüllung beider Bedürfnisse angewiesen. Und natürlich wird dieses Thema durch die Intensität der sexuellen Verbindung aktiviert. Bezogen auf diese Grundbedürfnisse nach Nähe und Distanz, könnte es in einer sexuellen Begegnung so aussehen: Aus Angst, abgewiesen zu werden, initiiert der Mann einen »Angriff«. Er ist so zielgerichtet, dass er nicht bemerkt, wie müde seine Partnerin ist. Dann überfällt er sie im wahrsten Sinne des Wortes mit seiner Lust. Weil sie alles andere als bereit ist fürs Liebesspiel, kann sie ihn nicht bewusst und liebevoll aufnehmen. Sie kann nur noch die Flucht ergreifen, erstarren oder sich verweigern. Die Flucht ergreift sie beispielsweise, indem sie zusieht, dass er möglichst schnell ejakuliert und sie es hinter sich hat. Oder vielleicht erkennen sich viele Leserinnen in der Geschichte von Mulla Nasruddin, der an seine Frau schreibt und sich über den elenden Zustand ihres Sexlebens beklagt:
»An mein teures, ewig geliebtes Weib: im vergangenen Jahre habe ich 360-mal versucht, mit dir zu schlafen. Im Folgenden eine Liste der Begründungen für deine Zurückweisungen: Die Kinder werden aufwachen 15-mal, es ist zu heià 7-mal, zu kalt 3-mal, zu müde 19-mal, zu spät 15-mal, zu früh 9-mal, Schlaf vorgetäuscht 33-mal, Nachbarn könnten es hören 3-mal, Rückenschmerzen 16-mal, Zahnschmerzen 2-mal, Kopfschmerzen 6-mal, nicht in Stimmung 31-mal, zu betrunken 25-mal, Besucher im Nebenzimmer 7-mal, »ist das alles, was du im Kopf hast« 62-mal. Liebste, glaubst du, wir können unseren Rekord im nächsten Jahr noch überbieten? Dein dich ewig liebender Mann Mullah Nasruddin.«
Ein anderes Szenario könnte so aussehen: Aus Angst, nicht (wirklich) geliebt zu werden, überschüttet die Frau den Mann mit Gefühlen. Sie bemuttert ihn, will ihm alles recht machen, lässt ihm keinen Raum, weder emotional noch real. Ihm wird es zu viel, und er reagiert entweder mit Ãrger (Angriff) oder Flucht (aus dem Raum, in eine AuÃenbeziehung, ins Internet oder zu Prostituierten), oder er erstarrt und wird emotional unnahbar.
Wir alle tragen tief in unserem Inneren die Hoffnung, vielleicht auch die Illusion, dass der Partner uns heilen wird und nicht, wie Vater und Mutter, uns missachtet oder verletzt. So geht die Hoffnung auf Heilung Hand in Hand mit der Befürchtung vor der Wiederholung unseres Kindheitsthemas.
Die Herausforderung für den Mann
Die Quelle der Angst für den Mann ist das Weibliche. Jeder Mann wird aus einem weiblichen Schoà geboren. Ohne die Mutter gibt es kein Leben. Alles um ihn herum ist weiblich: die Erde, die Natur, das Zyklische des Lebens. Das kann überwältigend sein. Und damit ist schon eine Grundangst des Mannes angesprochen: dem Weiblichen, Mütterlichen und Gefühlvollen ausgeliefert und unterlegen zu sein. Als ersten Schritt auf dem Weg zum Mannsein lehnt der Knabe deshalb alles Weibliche ab und versucht, es zu kontrollieren. Er will sich aus den »liebenden Fängen« der Mutter befreien, indem er Weichheit, Anhänglichkeit und Gehaltensein hinter sich lässt. Dabei schüttet er nicht selten das Kind mit dem Bade aus und wird in seiner Abwehr zum einsamen, harten Helden. Er verdrängt aber nicht nur das Urweibliche, sondern auch seine Gefühle, sogar die Angst vor seinen Gefühlen, damit er im Leben »seinen Mann stehen« kann. Das ist fatal, denn das Verdrängte bricht irgendwann durch, im schlimmsten Fall als Dominanzstreben und Gewalttätigkeit. Indem er im »AuÃen« unterdrückt, was er im »Innen« nicht annehmen kann, fühlt er sich scheinbar sicher. Trifft er auf der Suche nach einer Partnerin auf eine Frau, die in ihrem Frausein genauso verunsichert ist wie er in seinem Mannsein, entsteht eine »funktionierende Mesalliance«. Diese Beziehung funktioniert deshalb, weil sich die Partner in ihren Schwächen spiegeln und ergänzen. Trifft dieser Mann aber auf eine Frau, die in ihrem Frausein
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