Vom Nehmen Und Genommenwerden

sich sogar damit. Wir sprechen hier vom Ego oder einer »falschen Persönlichkeit«. Als Erwachsene identifizieren wir uns praktisch ausschließlich mit diesem Ego. Außenstehende können diese »Lebenslüge« jedoch spüren, und auch wir wissen oft schon seit früher Kindheit, dass etwas nicht stimmt, dass wir dieses Ego nicht sind.
    Unter der Oberfläche nehmen wir Unsicherheit, Scham, Angst, Schwäche oder Überforderung wahr. Oder wir überkompensieren durch Unerreichbarkeit, Kontrollsucht, Narzissmus. Wir fühlen uns verloren und leer, spüren, dass uns etwas fehlt. Wir sind getrennt und abgeschnitten von unserer vitalen Essenz. Um diese unangenehmen Gefühle nicht spüren zu müssen, verdrängen wir sogar diese. Später suchen wir verzweifelt nach einer Lösung beim anderen – nicht bei uns selbst. Damit geben wir die Verantwortung für unser Gefühl der Leere ab und dem anderen die Macht über unser Glück. Wir werden passiv, resignieren und geben uns auf.
    Das Ja zum Leben, das herzliche Lieben bleibt so lange eine Sehnsucht, bis wir es wagen, den Weg zu wahrer Intimität durch alle schützenden Verdrängungen hindurch zu gehen.
    Glücklicherweise werden durch die rebellische Kraft und das Feuer der Sexualität diese festen Schutzmauern und starren Kontrollmechanismen erschüttert. Wenn wir in einer Partnerschaft Vertrauen entwickeln und uns in Gefühle tiefer Liebe hinein entspannen können, schwemmt dies im ersten Augenblick alle Hindernisse hinweg. Wir berühren wieder Teile unserer Essenz und erleben Momente des Glücks und der Zufriedenheit, wenn unsere schönsten Qualitäten mit denjenigen des Partners verschmelzen.
    Wir sind glücklich, endlich das verloren geglaubte Paradies der frühkindlichen Essenz wiedergefunden zu haben und – nun kommt das große Aber. Durch die Intensität der Beziehung und weil wir Nähe zulassen und uns immer mehr öffnen, werden auch alle verdrängten Gefühle und Erfahrungen der Kindheit langsam wieder dem Bewusstsein zugänglich. Und wir müssen erkennen: Wir hatten nur so lange Kontrolle, solange wir nicht wirklich lebendig waren. Wir konnten nur so lange Schmerzen und Verletzungen vermeiden, solange wir uns nicht in Liebe geöffnet hatten. Sich dessen bewusst zu werden ist bitter und der Grund, weshalb viele Menschen die Verbindung zwischen Sex und Herz blockieren: aus Angst vor den damit verbundenen Erinnerungen und Gefühlen, aus Angst vor neuen schmerzhaften Erfahrungen. Das funktioniert sogar bis zu einem gewissen Grad: Sex ohne Liebe ist möglich, doch wir werden so nie unser volles Potenzial an Liebes- und Beziehungsfähigkeit ausschöpfen. Die Gralssuche nach der umfassenden, großen Liebe führt nicht über den perfekten Partner, sondern über unser Innerstes – die Essenz. Erst die Verbindung zwischen Sex und Herz lässt unsere Essenz aufleuchten. Im herzlichen Lieben zeigt sie sich in ihrer ganzen Größe.

Ein offenes Herz
    Die Liebe zur Liebe
    Das feurige Lieben mit seinem intensiven Erleben von Sexualität legt unsere tiefsten Ängste frei, vor allem die Angst, die Kontrolle zu verlieren. Beim Mann zeigt sich das in der Unsicherheit, seine phallische Kraft zu leben, bei der Frau in der Befürchtung, dass Hingabe ohne Risiko nicht möglich ist. Auch beim herzlichen Lieben werden wir erneut mit Ängsten konfrontiert, diesmal vor allem mit der Angst, in der Liebe verletzt zu werden oder dass alte Verletzungen wieder aufbrechen könnten.
    Sowohl Männer als auch Frauen blockieren aus diesem Grund zunächst das Aufsteigen der Energie vom Sex ins Herz. Sie misstrauen der Kraft wahrer Intimität und Nähe. Die Gründe sind jedoch verschieden: Männer wollen nicht von ihren Gefühlen überflutet werden, Frauen haben Angst, verlassen zu werden. Beide Befürchtungen sind Formen der Angst vor Intimität, der Angst vor der Liebe.
    Um den Weg zur Liebe zu finden, sollten sich Mann und Frau ihrer Polarität bewusst sein: Beim Sex setzt der Mann Energie frei, und auf der Ebene des Herzens nimmt er Energie auf. Er ist aktiv, steuert seine Lust, ergießt sich und lässt sich von der hingebungsvollen Liebe seiner Partnerin tief berühren. Die Frau gibt auf der Ebene des Herzens Energie ab, und im Sex nimmt sie Energie auf. Wenn sie liebt, gibt sie sich hin und hat keine Angst, sich dabei