Vom Nehmen Und Genommenwerden
Trägheit oder Langeweile sind auch beim stillen Lieben, wie bei allen anderen Qualitäten des sexuellen Liebens, die Gegenspieler, die überwunden werden müssen. So können wir beispielsweise beim feurigen Lieben einen solchen Tatendrang entwickeln, dass die lustvolle Wildheit auf eine beeindruckende Performance reduziert wird oder sich alles nur noch um Liebespositionen und Techniken dreht. Beim herzlichen Lieben genieÃen wir nicht einfach nur den Zustand des Verschmelzens, sondern lösen uns gleichzeitig völlig in ihm auf. Beim stillen Lieben werden wir auf einmal unruhig oder müde, langweilen uns oder halten uns an einem Gedanken, einem Gefühl oder einer Empfindung fest. In diesen Situationen hilft nur eins: entspannen, annehmen, was ist, loslassen und â das Nichts zulassen.
Herausforderungen für die Frau
Beim stillen Lieben wird die Frau vor allem mit ihrem Frauenbild konfrontiert. Einerseits ist es eine Erleichterung, dass sie nicht erregt sein muss und von ihr auch kein Orgasmus verlangt wird. Doch fühlt sie sich noch als attraktive Liebhaberin, wenn sie ihren Geliebten nicht mehr verführt, sondern ihn einfach nur aufnimmt und ihn mit ihrer liebevollen Präsenz umhüllt? Wie geht sie mit der Erfahrung um, nichts zu fühlen? Setzt sie das Fehlen von Lust und Erregung unter Druck? Fühlt sie sich auch dann noch begehrt und begehrenswert, wenn sie sich eingesteht, dass ihr Körper nicht dem gängigen Schönheitsideal entspricht?
Gerade in der Sexualität fällt es den meisten Frauen schwer, sich wirklich hinzugeben. »Nur« rezeptiv-aufnehmend im Hier und Jetzt zu sein und sich ganz auf die Körperempfindungen und Gefühle einzustimmen, um diese zuzulassen, ist eine groÃe Herausforderung. Kann sich die Frau aber nicht in diesen Zustand des Nichtstuns und Nichtsfühlens hinein entspannen, dann steigert sich ihr Energie- niveau, und sie wird aktiv. Dadurch wird sie, energetisch betrachtet, zum maskulin-abgebenden Pol. Sie sucht nach einem Ventil und möchte sich entladen, um ruhig zu werden. Dadurch öffnet sich aber ein Teufelskreis, denn das ist beim stillen Lieben die Aufgabe des Mannes. Die Frau darf seiner Aufladung keine Forderung entgegenstellen, denn dann schaukeln beide die Erregung auf und streben unbewusst auf eine Entladung, den Orgasmus, zu. Das Konkurrieren um den Yang-Aspekt ist dem natürlichen Energiefluss hinderlich und führt nie zu einer wirklichen Entspannung.
Genau deshalb sollte die Frau beim stillen Lieben keine StoÃbewegungen mit dem Becken ausführen. Widersteht sie der Versuchung nach Aktivität, kann sie ihre Aufmerksamkeit in die Vulva lenken. Sobald sie aufnehmend-rezeptiv wird und präsent bleibt, ohne etwas zu tun, kann sich auch ihr Partner entspannen. Ist sie jedoch aktiv, wird ihre Vulva fordernd und verführt ihn zu unbewussten Bewegungen. Aufgrund dieses Musters kann es beim Mann zum frühzeitigen Samenerguss kommen. Die Herausforderung für die Frau besteht deshalb darin, der Versuchung zu widerstehen, ihn zur Ejakulation zu bringen. Dabei kann sie beobachten, wie es ihr damit geht, wenn er nicht ejakuliert. Sie kann lernen, seine Zurückhaltung wertzuschätzen, weil sie weiÃ, dass er durch die Meisterschaft über seine Ejakulation das Lieben noch tiefer und erfüllender machen kann. Die Bestätigung für ihr ungewohntes Nichtstun kommt aus der Stille ihrer Vagina, in der sie Lustwellen und Bewegungsimpulse wahrnimmt.
Herausforderungen für den Mann
Der Mann steht unter dem Leistungsdruck, ein guter Liebhaber zu sein, Erektion und Ejakulation zu beherrschen. Und genau dieser Anspruch schwächt ihn. Als Reaktion auf diese Anforderung wird er sich nämlich â unbewusst â auf der energetischen Ebene verengen. Weil viele Männer aber grundsätzlich verunsichert sind, was ihre Erektion betrifft, tun sie sich erfahrungsgemäà anfangs eher schwer mit dem stillen Lieben. Die meisten Männer kontrollieren ihre Erektion über Bewegung, über Fantasien und vor allem über das Wahrnehmen der Lust ihrer Partnerin. Beim stillen Lieben muss er nun auf all dies verzichten. So verliert er anfangs meist das Gefühl, ein toller und phallischer Liebhaber zu sein. Und das bremst oft genug seine Motivation, die Praxis des stillen Liebens fortzusetzen. Solange er starke Körperbewegungen macht, glaubt er, einen besseren Zugang zu
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