Vom Schicksal bestimmt: Soul Seeker 1 - Roman (German Edition)
zum anderen …«
»Die Augen!«, platze ich heraus und bedauere meine Worte noch im selben Moment. Er hat offensichtlich keine Ahnung, wovon ich spreche. »Deine sind … freundlicher.« Meine Wangen brennen so heiß, dass ich mich zwinge wegzusehen, während ich mir wüste Selbstvorwürfe mache.
Warum benehme ich mich wie ein Trampel? Warum muss ich mich immer wieder blamieren – und das ausgerechnet auch noch vor ihm?
Ich muss mich zusammenreißen. Ich muss daran denken, wer ich bin, was ich bin und wozu ich geboren bin. Nämlich im Grunde dazu, ihn und seine Sippschaft auszulöschen – oder zumindest den Schaden zu begrenzen, den sie anrichten.
Er wirft mir einen seltsamen Blick zu und ignoriert meine Worte. »Was ich eigentlich sagen wollte, ist, dass wir nur äußerlich identisch sind, innen sieht es ganz anders aus. Er ist viel geselliger und immer umringt von Unmengen Mädchen, die ihn bewundern, die ihm nachlaufen wie das Gefolge eines Stars.«
»Und du hast keines – kein Gefolge?«, frage ich, während ich überlege, wie das möglich ist. Bei seinem guten Aussehen
und seiner netten Art ist er doch viel attraktiver als sein Bruder.
Ich schüttele den Kopf. Schlage mir den Gedanken aus dem Kopf. Ganz egal, wie süß er auch sein mag, ganz egal, wie freundlich seine Energie auch wirkt, er ist dennoch ein Richter – ein echtes Mitglied des El-Coyote-Clans. Er ist jemand, den ich genau im Auge behalten muss, mehr nicht.
Er beugt sich zu mir herüber, und seine Augen sind so durchdringend, so blau, dass ich mich zwingen muss, ihrem Blick zu begegnen. »Ich? Ein Gefolge?« Lachend fährt er sich mit der Hand durchs Haar. »Heute ist wirklich dein erster Tag, was?« Er senkt den Arm und lässt sich die Haarsträhnen wieder über die Schulter fallen. »Jedenfalls willkommen auf der Milagro. Diese Schule ist weiß Gott nicht für ihre freundliche Art bekannt, also bezweifle ich, dass schon irgendjemand auf die Idee gekommen ist, das zu sagen.«
»Dein Zwilling hat es gesagt.« Ich sehe ihn an und versuche, einen tieferen, verlässlicheren Eindruck von ihm zu bekommen als beim ersten Mal, aber ich finde nur wieder dieselbe Wolke von Freundlichkeit und Liebe, und so wende ich mich ab und verdränge es.
»Anscheinend liegen gute Manieren in der Familie. Wer hätte das gedacht?« Er lacht. »Oh, und entschuldige bitte, dass ich es nicht gleich gesagt habe, aber ich heiße Dace.«
Er wirft mir einen erwartungsvollen Blick zu, doch ich reagiere nicht. Wenn er wirklich ein Richter ist, und daran kann ja kein Zweifel bestehen, dann weiß er über meine Ankunft ganz genau Bescheid. Laut Paloma warten die Richters seit Djangos Tod auf irgendein Zeichen von mir.
»Nur für den Fall, dass du wissen willst, wie diese Stunde abläuft«, sagt er, indem er mein Schweigen ignoriert. »Du kannst arbeiten, woran du willst, aber wenn du keine Lust
zum Lernen hast, dann tu wenigstens so, als wärst du beschäftigt. Coach Sánchez wird bald verschwinden, aber siehst du die Kamera da vorn?«
Mein Blick folgt seinem Daumen, der auf einen Punkt weiter vorne zeigt. Wir schauen beide ins Objektiv einer Kamera, die mitten über der Tafel prangt – ein alles erfassendes, niemals blinzelndes Auge, das alle unsere Handlungen aufzeichnet.
»Wenn du aus der Reihe tanzt, haben sie alles auf Video.« Er zieht eine Braue hoch und verdreht die Augen. »Eigentlich sollte das hier ein Kunstkurs sein. Jedenfalls hab ich mich für Kunst eingetragen. Aber als das Budget gekürzt wurde, waren Kunst und der Kunstlehrer die ersten Opfer. Kein Mensch interessiert sich für Kunst in dieser Stadt – alles dreht sich nur um Sport und die Leute, die ihn ausüben. Und deshalb haben wir jetzt statt Malen und Zeichnen eine fächerübergreifende Lernstunde, einen übellaunigen Aufsichtslehrer, der die Anwesenheit kontrolliert, und eine Kamera, die jede unserer Bewegungen aufnimmt. Aber wahrscheinlich war es an deiner letzten Schule genauso, oder?«
Ich zucke die Achseln, ohne es zu bestätigen oder zu leugnen, und verweigere jedes weitergehende Gespräch. Seine Gegenwart bringt mich allzu sehr aus der Fassung – und ich bin stocksauer auf Paloma, weil sie mich nicht auf ihn vorbereitet hat. Ich taste nach dem Beutelchen an meinem Hals, beruhigt von den fühlbaren Umrissen der Feder und des Raben, ehe ich nach dem Taschenbuch greife, das ich seit dem ganzen Aufruhr in Marokko fertig zu lesen versuche. Ich versinke in der magischen Welt, die
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