Vom Schicksal bestimmt: Soul Seeker 1 - Roman (German Edition)
presst die Lippen aufeinander und lässt sich mit ihrer Antwort einen Moment Zeit. »Ich kann Energie lesen, was
heißt, dass ich nicht das Gesicht des anderen zu sehen brauche, um zu wissen, in welcher Stimmung er ist. Manche nennen es intuitives Sehen, andere nennen es Blindsehen. Und ich muss dir leider sagen, Daire, dass du eindeutig die klassischen Symptome von Nervosität einer neuen Schülerin an den Tag gelegt hast. Deine Schwingungen waren überall zu spüren.« Sie lacht auf eine Art, die mich animiert mitzulachen.
»Tja, das kann ich wohl nicht leugnen«, erwidere ich. »Aber das erklärt immer noch nicht, woher du gewusst hast, dass Cade sich für mich interessiert.« Ich mustere sie aufmerksam und denke mir, je mehr Info ich über ihn sammeln kann, desto besser. Paloma hat mir so vieles verschwiegen.
Xotichls Miene verfinstert sich, sie wendet sich ab und geht auf das hohe Eisentor zu, wobei sie den Stock vor sich herschwenkt. »Wie gesagt, ich kann Energie lesen«, erklärt sie mir und geht drei Schritte weiter, ehe sie sich abermals umdreht. »Beeil dich. Unsere Mitfahrgelegenheit ist da.«
Siebenundzwanzig
X otichls Mitfahrgelegenheit entpuppt sich als echt süßer Typ mit sandfarbenem Haar und sanften, braunen Augen. Er besitzt einen alten, verbeulten Kombi mit Holzpaneelen an den Türen, der für mich trotz seines ramponierten Zustands eine willkommene Abwechslung zu all den Pick-ups, Jeeps und Geländewagen hier in der Gegend darstellt.
»Das ist Daire, ich habe dir ja schon von ihr erzählt«, erklärt Xotichl ihm, während er ihr auf den Beifahrersitz hilft und ich hinten einsteige.
»Ah, Palomas nieta «, sagt er und spricht das Wort perfekt spanisch aus, obwohl er keinen Hauch von Latino an sich hat. Aber das habe ich ja auch nicht, obwohl es einen beträchtlichen Teil meiner Abstammung ausmacht. »Ich bin Auden – wie der Dichter, benannt nach dem Dichter. Und, wie war der erste Tag? Hat dir Xotichl sämtliche Sehenswürdigkeiten gezeigt?«
»Es gibt Sehenswürdigkeiten?«, witzele ich und registriere den Stich, den es mir versetzt, als er sich zu ihr beugt, ihr die Ponyfransen aus den Augen streicht und sie mit so unverhohlener Bewunderung ansieht, dass ich wegschauen muss.
Wie schade, dass sie es nicht sehen kann. Es ist genau die Art von Blick, von der die meisten Mädchen nur träumen können. Doch angesichts dessen, wie sie mit einem Lächeln darauf reagiert und sich seiner Berührung entgegenlehnt, ist
offenkundig, dass sie das mit dem Blindsehen ernst gemeint hat – ihr entgeht nichts.
»Wie lange kennt ihr euch schon?«, frage ich, während Auden den Kombi vom Straßenrand lenkt.
»Schon immer«, antwortet er. »Ich kann mich an keinen einzigen Tag ohne sie erinnern.«
Xotichl lacht und versetzt ihm einen spielerischen Klaps auf die Schulter. »Wir haben uns letztes Jahr kennen gelernt«, sagt sie, den Kopf in meine Richtung gewandt. »Es war Liebe auf den ersten Blick. Aber leider sieht meine Mom es nicht ganz so. Sie ist nicht einverstanden.«
Ich sehe Auden an und mache eine rasche geistige Bestandsaufnahme. Er ist nett, süß und lebt offenbar nur dafür, dieselbe Luft zu atmen wie Xotichl – also was könnte wohl das Problem sein?
»Ich spiele in einer Band, bin früher von der Schule abgegangen und hab dann auch noch mein Studium abgebrochen …« Auden zuckt die Achseln und sieht mich im Rückspiegel an.
»Wie alt bist du?«, frage ich, nachdem ich angenommen habe, dass Xotichl wie ich in die elfte Klasse geht, aber vielleicht ist sie ja älter. Vielleicht ist er auch älter. In dieser Stadt herrscht kein Mangel an Illusionen, so viel steht fest.
»Siebzehn …« Er will eigentlich weiterreden, doch Xotichl fällt ihm ins Wort.
»Nur der Vollständigkeit halber – er ist ein Wunderkind. Hat die Highschool mit fünfzehn verlassen, um an die Uni zu gehen. Er ist lächerlich bescheiden«, sagt sie und fährt ihm zärtlich durchs Haar.
»Ich hatte schon ein ganzes Semester hinter mir, als mir klar wurde, dass das nichts für mich ist. Ich liebe Musik.« Er rutscht auf seinem Sitz hin und her und sieht mich an. »Aber
ich wollte nicht Musik studieren , sondern Musik erschaffen . Musik und Xotichl – das ist mein Leben –, weiter brauche ich nichts.« Er hebt die Hand vom Steuer und zieht Xotichl an sich.
»Das stimmt alles, bis auf den letzten Teil. Er liebt die Musik mehr als mich«, widerspricht Xotichl und quiekt vor Vergnügen, als er sich
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