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Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Titel: Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maori Kunigo
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Bis
zum hässlichen Neubaugebiet ist es dann auch nicht mehr weit.
    Jedenfalls sitzen wir jetzt in
einer äußerst unsympathischen Bar in Cirueña und werden weder bedient noch
beachtet. Ist das der Teil, in dem Pilger leiden sollen? Ehrlich gesagt, das
Leid hält sich in Grenzen, dafür meldet sich so ein Ding namens Wut. Oh, das
Essen kommt.
     
    Abgesehen davon, dass das bocadillo miserabel war, gestaltet sich der Abstieg Richtung Santo Domingo de la Calzada
als äußerst nervenaufreibend: Einerseits treten akute Beschwerden im rechten
Knie auf, andererseits wechseln sich unmotivierter Nieselregen und brutaler
Sonnenschein ab. Auf der heutigen Etappe häufen sich die Variationen der mehr
oder minder gelungenen Steinmonumente, beispielsweise Steinmännchen oder kleine
Pyramiden. Auch werden unterschiedlichste Botschaften und Formen am Wegesrand
gelegt. Leider hinterlassen viel zu viele Arschlöcher ihren verdammten Müll auf
und neben dem Camino, insbesondere leere Wasserflaschen und defekte
Fahrradschläuche. Ich bin aber auch schlecht drauf heute.
    Zumeist werden wir von
weitläufigen, abgeernteten Feldern flankiert. Das Gelände wellt sich wie ein
übergroßes, borstiges Laken, flatternd und pfeifend sucht sich der Wind seinen
Weg zwischen den Kämmen entlang.
    Um etwa sechzehn Uhr herum
erreichen wir das vom großen Camino-Förderer Domingo García vor fast eintausend
Jahren gegründete Santo Domingo de la Calzada. Die in der leicht überlaufenen
Altstadt ansässige Pilgerherberge erinnert mehr an ein Hotel: eine bestens
ausgestattete Einbauküche, ausreichende Anzahl an Betten, moderne Duschen und
ein riesiger Aufenthaltsraum. Das alles bekommt man allerdings nur, wenn man
sich für die zweite albergue im Ort entscheidet. Betritt man die erste,
erwartet einen eine Art Notunterkunft im Zisterzienserkloster, nicht gerade
komfortabel und definitiv nur für Menschen, die ganz bewusst solche Erfahrungen
suchen. Manch einer findet es ja albern, wenn sich Wohlstandskinder in solche
Unterkünfte begeben. Ich allerdings finde es absolut legitim, sich einen
gewissen Grad von Bescheidenheit, der uns besonders in der wohlhabenden
Bundesrepublik leicht abhanden kommt, auf die harte Tour einzuverleiben. Aber
das muss jeder für sich selbst entscheiden; ob in die eine oder in die andere
Richtung, Fanatiker sind und bleiben mir zuwider. Als erste Amtshandlung in der
Luxusherberge kaufe ich mir beim hospitalero eine Jakobsmuschelschale.
Zwar habe ich auf dem Weg hierher bereits einige Souvenirshops passiert, die
welche anboten, aber ich möchte sicherstellen, dass mein Geld bei denen landet,
die sich für den Erhalt des Weges und für uns Pilger einsetzen.
    Unsere Herberge wird von der
Confradía del Santo betrieben und liegt in unmittelbarer Nähe der gotischen
Catedral de Santo Domingo de la Calzada, in der die berühmten Hühner nur darauf
warten, die Pilgerschar nach Santiago de Compostela zu krähen. Dass sich Hühner
in der Kathedrale aufhalten, haben wir dem Hühnerwunder von Santo Domingo zu
verdanken. Im vierzehnten Jahrhundert machten sich der achtzehnjährige Hugonell
und seine Eltern aus Xanten auf die beschwerliche Reise nach Santiago de
Compostela. In Santo Domingo de la Calzada beschlossen sie zu übernachten, und
so kehrten sie in einem Wirtshaus ein. Der junge Hugo muss ein Wahnsinnskerl
gewesen sein, denn die Wirtstochter, deren Optik nicht überliefert ist,
verliebte sich auf der Stelle in ihn. Als er ihre Avancen jedoch aufgrund
seiner frommen (so der offizielle Wortlaut) Keuschheit ausschlug, jubelte sie
ihm einen Silberbecher unter und schwärzte ihn beim Gericht an. Ehe er es sich
versah, fand sich Hugonell am Galgen wieder. Niedergeschlagen zogen seine
Eltern weiter nach Santiago de Compostela. Auf dem Rückweg kamen sie wieder
nach Santo Domingo de la Calzada und zogen am Galgen vorbei. Plötzlich erwachte
der Sohn und erzählte seinen wohl ziemlich schockierten Eltern, dass er gar
nicht tot sei, weil Santo Domingo ihn gehalten habe. Nach anders lautenden
Überlieferungen soll es Santiago gewesen sein. Was bedeutet, dass Hugonell die
ganze Zeit dort herumgebaumelt hat, ohne dass sich jemand dessen angenommen
hätte, aber dies nur nebenbei. Anstatt wie jeder einigermaßen vernünftige
Mensch mit dem quicklebendigen Sohn das Weite zu suchen, rannten die Eltern
voller Aufregung zum Richter und berichteten ihm davon. Der Richter jedoch
erwiderte lapidar: »Vuestro hijo está tan vivo como este gallo y

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