Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen
esta
gallina que me disponía a comer antes de que me importunarais!« »Ihr Sohn ist so lebendig wie
der Hahn und die Henne, die ich verputzen wollte, bevor ich (von euch) gestört
wurde!« Da sprang sein Mahl vom Teller und flatterte davon. Der Sohn wurde
freigesprochen und die fiese Wirtstochter aufgehängt. Was die Sache meiner
Meinung nach nicht moralisch einwandfrei zu Ende bringt, aber was soll’s. Nun
hocken also zur Erinnerung an das Wunder ein Hahn und eine Henne (soviel zur
Keuschheit) in einem spätgotischen Käfig. Nur wenn sie beim Betreten der
Kathedrale krähen, ist eine reibungslose Pilgerschaft garantiert.
Nachdem ich mich frisch
geduscht habe, hänge ich mit Michelle im großflächigen Aufenthaltsraum ab. Dort
sehe ich zwei bekannte Gesichter wieder: die beiden blonden Mädels, die uns gestern
Abend in Nájera mit ihrem Gesang beeindruckt haben. Ich liege einfach nur da,
trinke Aquarius aus dem Automaten und döse vor mich hin. Auch wenn wir heute
lediglich knapp über zwanzig Kilometer gewandert sind, war die Anstrengung
mindestens genauso groß wie gestern. Ich fühle mich extrem ausgelaugt, der
rechte Fuß schmerzt. Für eine Sportnull wie mich grenzt es an ein Wunder,
überhaupt solche Distanzen zurücklegen zu können. Ohne das regelmäßige
Lauftraining vor dem Camino sähe meine physische Verfassung sicherlich ganz
anders aus. In meiner Jugend war Fußball die einzige Sportart, die mich
begeistern konnte, allerdings zu meiner Zeit an der Waldorfschule verboten, da
man (O-Ton) »die ganze Zeit auf den Boden guckt«. Kein Witz. Auf so einen
Schwachsinn muss man erst einmal kommen. Anschließend habe ich diverse
Sportvereine abgeklappert, die mich aber immer weiter demotivierten. Wenn ich
einen Fehler beging, und Kinder begehen nun mal Fehler, wurde ich nicht
motiviert oder trainiert, sondern beschimpft und aus den Teams geworfen. Dabei
fielen besonders häufig rassistische Beleidigungen, und die Trainer oder
Betreuer taten meistens das, was sie am besten konnten: nichts. Wer meint,
Rassismus sei hauptsächlich ein ostdeutsches Phänomen, der irrt gewaltig. Im
Ruhrgebiet wird man als Japaner permanent rassistisch beleidigt; nicht nur von
Deutschen, sondern ganz besonders von Türken und Libanesen. Als einer meiner
Freunde drei Türken ins Krankenhaus geprügelt hat, war es also witzigerweise
ein Statement gegen Ausländerfeindlichkeit. Ich bin Pazifist, aber auch ein
Verfechter dessen, sich die Sprache seines Gegenübers anzueignen. Was ich
allerdings wesentlich schlimmer finde als ein paar pöbelnde Kleinasiaten, ist
die deutsche Boulevardpresse, im besonderen Maße das Schmierblatt mit den vier
großen Buchstaben. Immer wieder schreiben sie über die deutsche Verantwortung
für den Holocaust, hetzen aber zwei Seiten weiter gegen die mordenden Türken,
die bombenden Araber, die perversen Japaner oder die klauenden Polen. Jeder,
der dieses Hetzblatt kauft, unterstützt die schleichende Etablierung
rassistischen Gedankenguts und demonstriert damit seine maßlose Dummheit. Mit
Nazis habe ich die wenigsten Probleme, die stehen wenigstens zu der Scheiße,
die sie absondern. Viel mehr störe ich mich am Alltagsrassismus, der sich
wesentlich subtiler zeigt. Wenn Arbeitskollegen mich zuallererst als Japse
wahrnehmen und dies auch so äußern, dann sollten sie sich dringend fragen, in
welches Jahrhundert sie gehören. Mein Ex-Chef benutzte während eines Meetings
für einen großen japanischen Elektronikhersteller diesen Ausdruck. Anderthalb
Jahre später hat der Kunde die Zusammenarbeit übrigens eingestellt. Wenn ich
jetzt hier im geräumigen Aufenthaltsraum in der Herberge von Santo Domingo de
la Calzada darüber nachdenke, kann ich nur zu einem Schluss kommen: Manche
Menschen sind einfach nur zu bemitleiden. Ewig gefangen im eigenen, limitierten
Geiste.
Um kurz nach sechs verlassen
wir zu viert die Herberge. Auf der anderen Straßenseite befindet sich ein
kleiner Raum, in dem zwei Waschmaschinen und ein Trockner stehen. Diesen Luxus
gönnen wir uns beziehungsweise unserer Wäsche. Anschließend trotten wir durch
die belebte Altstadt. Ein unzweifelhafter Indikator für die touristische
Erschlossenheit einer spanischen Ortschaft ist das Passantenaufkommen vor
neunzehn Uhr. Der Spanier an sich denkt überhaupt nicht daran, nachmittags
irgendwo draußen herumzulaufen. In Santo Domingo de la Calzada allerdings
scheinen genügend viele Gäste unterwegs zu sein, so dass ich mir vorkomme wie
in
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