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Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Titel: Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maori Kunigo
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vollgefressen in der panadería.
    Melanie scheint heute irgendwie
nicht so locker und ausgeglichen zu sein wie in den vergangenen Tagen. Sie
schreitet flott voran und zeigt sich nicht besonders redselig. Glückwunsch, Maori
jetzt hast du zwei schlecht gelaunte Weiber am Hals. Also lasse ich mich ein
wenig zurückfallen, genieße die frische Luft und laufe in einigen Metern
Abstand hinter den Mädels her. Es dauert nicht lang, und wir erreichen das
Gipfelplateau knapp tausendachtzig Meter über Normalnull, wo ein hölzernes
Gipfelkreuz den Winden trotzt. Der Abstieg ist steil und nicht ungefährlich,
wird aber mit einen beeindruckenden Blick auf Burgos belohnt. Kaum vorstellbar,
dass wir bis ins Stadtzentrum noch fast zwanzig Kilometer zurücklegen müssen.
Kurz darauf treffen wir natürlich Marie wieder. Möglicherweise wiederhole ich
mich, aber sie wirkt bei jeder Begegnung so unendlich fröhlich und glücklich,
dass sie uns immer wieder mit ihrer positiven Ausstrahlung auftankt. Und siehe
da, Avril und Melanie haben das Lachen doch noch nicht verlernt.
    Auf einem Feldweg, natürlich
zwischen weiteren abgeernteten Feldern, laufen wir nach Villalval. Die Kirche
des Dorfes hat schon bessere Zeiten erlebt: Der Kirchturm ist teilweise
eingestürzt, in einem Rundbogenfenster hängt noch eine kleine Glocke. Wie
Eingeweide hängen die Überreste des Dachgebälks aus der klaffenden Wunde. In
Villalval steppt der Bär. Oder Bob der Baumeister, wie man’s nimmt. Es wird gebaut
wie verrückt, solange es sich nicht um die Kirche handelt. Häuser werden aus
dem Boden gestampft, Straßen neu geteert, wahrscheinlich haben die Leute hier
die Schnauze voll, dass jedes Jahr Zehntausende Menschen durch den winzigen
Weiler wandern, ohne auch nur einen Cent im Dorf zu lassen. Villalval hat
nämlich noch weniger zu bieten als Agés: keine Herberge, keine Bar, kein
Restaurant, keine Kirche, keinen Supermarkt, keinen Geldautomaten, keine
Telefonzelle, nichts. Damit soll jetzt Schluss sein, und so grüßen uns die
Bauarbeiter mit einem in dieser Gegend bisher ungekannten Optimismus, obwohl
ich bezweifle, dass auch nur einer von ihnen hier lebt. Oder dass auch nur
einer von ihnen ein Spanier ist. Schwamm drüber.
    Wenige Minuten später lassen
wir uns an einer schattigen Ecke nieder. Und wenn ich »Ecke« schreibe, dann
nur, weil es sich schlicht und ergreifend um eine Ecke handelt. Gäbe es hier
einen Rastplatz, hätte ich »Rastplatz« geschrieben. Oder wenigstens »Sitzbank«.
»Ein runder, einigermaßen bequemer Felsbrocken« hätte ich auch noch akzeptiert.
Aber nein, ein paar Steinhaufen, mit ausreichend Fantasie oder Alkohol als
Mauerstücke identifizierbar, bilden am Straßenrand eine Ecke. Als wir so
herumsitzen und uns entspannen, taucht plötzlich ein alter Dorfbewohner auf,
ein kleiner, hagerer Mann mit ausgeblichenem Käppi auf dem Kopf. Wo die alle
immer diese modischen Verbrechen herhaben. Freundlichst grüßt er uns mit einem »¡Hola!«- Wir erwidern den Gruß. In jedem Dorf sind die Leute nett zu uns Pilgern, jeder
lächelt uns an, hebt die Hand oder nickt uns zu. Da bleibt es mir ein Rätsel,
wie man sich so derbe danebenbenehmen kann wie die vier deutschen Prinzessinnen
von heute früh. Sind diese Menschen einfach nur dumm, schlecht erzogen oder
sozial völlig unempfänglich? Ich vermute zweierlei. Erstens: Die Mischung
macht’s. Zweitens: Die Vier werden sich noch trennen. Zusammen werden die nicht
nach Santiago kommen, da verwette ich meine Wanderstöcke drauf.
    Der alte Mann deutet auf den
Steinhaufen. »Wisst ihr, was das ist?«
    Ich habe eine Vermutung,
besitze aber ausreichend Contenance, den Mund zu halten.
    »Das sind Überreste einer
römischen Kanalisationsanlage.« Er deutet auf eine andere Ecke der Ecke. »Hier
haben schon die alten Römer gesiedelt.«
    Wir starren verzweifelt auf die
Ecke. Von einer Kanalisationsanlage ist aber auch gar nichts zu sehen.
Allerdings gilt es, soweit ich weiß, in Spanien als schwere Sünde, Pilger zu
verarschen, besonders mit Römererzählungen.
    »Wohin wollt ihr heute?«, fragt
er, ohne unsere fragenden Gesichter zu bemerken.
    »Nach Burgos«, antwortet Avril.
    Der alte Mann nickt. »Dann
wünsche ich euch noch einen buen camino, Freunde.«
    Mit einem Lächeln auf den
Lippen verschwindet er genauso plötzlich wie er erschienen ist. Noch einmal
mustere ich die Ecke. Du hast noch einen verdammt weiten Weg vor dir,
Villalval.
     
    Auf einer asphaltierten
Landstraße wandern wir

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