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Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Titel: Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maori Kunigo
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ihn früher oder später umbringen, davon
bin ich überzeugt.
    Um ein bisschen belanglosen
Camino-Smalltalk zu betreiben, sage ich: »Ich wäre ja gerne in Saint-Jean vor
den Pyrenäen losgelaufen.«
    Das weiß Simon anscheinend
besser als ich. »Nee, auf keinen Fall«, widerspricht er. Wie schräg ist das
denn? Woher um alles in der Welt will er wissen, wo ich gern losgelaufen wäre
oder nicht? Als reiche ihm das nicht, begründet er seinen Widerspruch auch
noch, indem er ergänzt: »Das nervt doch, mehr als drei Wochen will doch keiner
laufen.«
    Ich staune nicht schlecht.
Schonend versuche ich ihm beizubringen, dass ich ziemlich genau weiß, was vor
dem Camino in meinen Kopf vonstatten ging. Erstens war ich im Gegensatz
zu ihm dabei, und zweitens bin ich im Gegensatz zu ihm ich. Ein
Wahnsinnsvorteil, nebenbei bemerkt. »Ich hab’ halt nur vier Wochen Urlaub
bekommen, sonst wäre ich...« Weiter komme ich nicht.
    »Nee, mehr als drei Wochen will
doch keiner laufen«, unterbricht er mich. Ich glaube es nicht, er unterbricht
mich einfach’ Vielleicht bringt ihn ja nicht sein Hirn um, sondern ich?
    Nur wenige Minuten später
täuscht er seinerseits ein normale Camino-Gespräch an und fragt mich: »Und
wieso bist du hier?«
    Bereits arg genervt antworte
ich: »Da gibt’s unterschiedlich Gründe, ne? Hab’ kein gutes Halbjahr gehabt,
dies und das eben.«
    »Ich hätte auch keine Lust zu
arbeiten.«
    Ich glaub’, ich hör’ wohl nicht
recht. »Wer hat das denn behauptet?«
    Daraufhin antwortet er doch
tatsächlich: »Alle jungen Leute haben keine Lust zu arbeiten.«
    »Aha.« Eigentlich würde ich das
Gespräch gern beenden, aber seine zweifelsohne geniale Erklärung möchte ich
bitteschön noch hören. Also frage ich ihn, auch wenn es mir schwer fällt: »Und
wie kommst du darauf?«
    Und jetzt kommt seine epische
Begründung: »Ich kenne ein paar junge Leute, die keine Lust haben zu arbeiten.«
    Okay, entweder hat’s ihm die
gestrige Sonne sowas von durchs Hirn geschlagen, oder er ist einfach total
dumm. Wieso müssen Marcos und ich ausgerechnet nach der gestrigen Horroretappe
so einem Psycho begegnen? Wie dem auch sei, von jetzt auf gleich breche ich das
Gespräch ab und lasse mich einige Meter zurückfallen. Als Simon beginnt, Marcos
und mich abwechselnd sekundenlang anzublicken, als würde er a) mit uns schlafen
oder b) uns umbringen wollen, bekommen wir es dann doch ein wenig mit der Angst
zu tun. Bald erreichen wir das Dörfchen Ledigos. In einer Bar, wahrscheinlich
der einzigen hier, bestellen Marcos und ich uns café con leche. Simon
entscheidet sich für einen Cornetto. Und während er so um kurz nach neun sein
Eis frisst, beschließen Marcos und ich zu flüchten. Kommentarlos erheben wir
uns von unseren Barhockern und lassen ihn zurück.
    Kaum dass wir außer Sichtweite
sind, sagt Marcos: »Der Typ ist nicht normal. Der ist völlig verrückt!«
    Ich kann ihm nur beipflichten.
»Der war ein bisschen unheimlich, oder? Nicht, dass der denkt, wir seien jetzt
seine Freunde.«
    »Ich will mit ihm nichts zu tun
haben, Maori. Ich sag’s dir, der Typ ist nicht normal.«
    Minutenlang rekapitulieren wir
seinen Auftritt, wiederholen noch einmal alles, was er so von sich gegeben hat.
Wir hoffen inständig, dass wir ihn nie wiedersehen. Mit gemischten Gefühlen
durchqueren wir bald Terradillos de los Templarios und das winzige Moratinos.
Außerhalb der Dörfer passieren wir abgeerntetes Brachland sowie weite
Sonnenblumenfelder. Und auch die Sonnenblumen ächzen unter der enormen Hitze.
    Unsere Hoffnung, Simon nie mehr
wiederzusehen, zerschlägt sich recht fix: Als wir in San Nicolás del Real
Camino, gut siebeneinhalb Kilometer vor dem heutigen Etappenziel Sahagún eine
Rast einlegen, juckelt er doch ganz entspannt an uns vorbei, diesmal in
Begleitung zweier älterer Deutscher. Ob die schon herausgefunden haben, wen sie
sich da angelacht haben? Jedenfalls lassen sich die Drei in Sichtweite vor
einer Bar nieder. Als wir beobachten, wie Simon sich etwas zu essen bestellt,
nutzen wir die Gelegenheit und laufen los.
    Bald plagen mich jedoch ganz
andere Sorgen. Die Fußschmerzen, danke oh große Römer, sind so heftig, dass ich
die letzten Kilometer nach Sahagún nur noch im Schneckentempo zurücklegen kann.
Als ob die Muskelstränge bei jedem Schritt von den Knochen abgerissen werden.
Wie unangenehm. Immerhin kann ich mich bei der kläglichen Laufgeschwindigkeit
umso intensiver der Landschaft widmen. Nach einer Weile

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