Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen
trifft der Feldweg auf
die N-120, und schon laufen Marcos und ich wieder auf dem Seitenstreifen.
Wenigstens hält sich der Individualverkehr bei der brütenden Mittagshitze in
verhältnismäßig akzeptablem Rahmen. Als wir rechts in einen Feldweg zur
Ziegelsteinkapelle Ermita de la Virgen del Puente abbiegen wollen, entdecken
wir auf der gegenüberliegenden Straßenseite den Werbemann der Herberge von
Sahagún, bei dem ich gestern unsere Betten reserviert habe. Mit Flyern in der
Hand bewaffnet, fängt er sämtliche Pilger ab, Richtung Stadt unterwegs sind.
Dazu muss ich ergänzend erwähnen, dass Marcos und ich bei der nächstbesten
Gelegenheit die Nationalstraße überquert und nicht die gelben Pfeile abgewartet
haben. Ich rechne fest damit, dass er uns über die N-120 hinwegmit
einem Megafon seine Herberge anpreist, aber nein, so rustikal ist er dann doch
nicht drauf. Unbehelligt erreichen wir die rötlich leuchtende Kapelle. Vor dem
knallblauen Himmel entwickelt die kontrastbildende Farbgebung eine Wucht, die
man einem derart fragilen Bau gar nicht zutraut. Ein echtes Schmuckstück,
besonders für den pilgernden Architekturstudenten. Nur leider scheint das hier
niemanden zu interessieren, die Kapelle müsste dringend saniert werden.
Betreten kann man sie leider auch nicht. Ein paar Bauarbeiter lungern hinter
dem Gebäude herum und halten eine Siesta. Wahrscheinlich seit dreißig Jahren.
Unter der glühend heißen Sonne
geht es nach Sahagún. Als wir die verkitschte Privatherberge mit dem Charme
einer mäßig frequentierten Disneyland-Attraktion erreichen, bin ich heilfroh
über das Ende der Etappe. Dank der gestrigen Reservierung bekommen wir zwei
Betten im hinteren Bereich des Schlafsaals, und nicht mittendrin. Weniger froh
bin ich dann, als kurze Zeit später Simon mit seinen neuen Freunden in die
Herberge wackelt. Natürlich, wie sollte es auch anders sein, setzen sich die
Drei zu uns. Ich beschließe, ihn möglichst zu ignorieren.
»Eigentlich möchte ich noch das
Kloster besuchen«, murmelt er vor sich hin und blättert im Wanderführer des
älteren Begleiters. Dort steht allerdings drin, dass nur noch ein Torbogen
sowie eine Kirche erhalten geblieben sind. »Wenn das kein richtiges Kloster
ist, mit echten Mönchen und so, dann macht das ja gar keinen Sinn da
hinzugehen.«
Mit echten Mönchen und so?
Mönche sind doch nicht da, damit Touristen etwas zum Gucken haben. Ich taufe
ihn hiermit »Simon der Denker«. Irgendwann wird mein hartnäckiges Schweigen
belohnt: Er verzieht sich. Ich nutze die gewonnene Freiheit und gehe online, um
Avril eine kurze Standortangabe zuzumailen. Natürlich bringe ich den Rechner
zum Absturz. Die hübsche hospitalera nimmt sich dessen an und startet
ihn neu. Vielleicht sollte ich langsam über einen Anbieterwechsel nachdenken.
Kurze Zeit später erreichen auch Ingo und Chris Disneyland. Sie sind heute
Morgen aus Carrión de los Condes losgelaufen, haben also satte vierzig
Kilometer in den Beinen. Als Marcos und ich uns später in der Stadt unser
obligatorisches eiskaltes Bier gönnen, schlendert Chris an uns vorbei. Anstatt
wie wir einen ausgereiften camino walk hinzulegen, spaziert sie hier mit
ihren iPod-Kopfhörern in den Ohren herum, als wäre sie an einem Samstag auf
Shoppingtour.
»She’s unbelievable «, meint Marcos.
»She’s young«, korrigiere ich.
In einem Supermarkt kaufe ich
mir endlich eine Reisepackung Shampoo, schließlich sprießen mir so langsam die
ersten Stoppeln aus der Glatze. Außerdem decken wir uns mit Spaghetti und
Dosen-Thunfisch ein, die ich in der Küche der Herberge zu einer
Studentenmahlzeit verarbeite. Das gelingt auch recht gut, mit der Menge
allerdings habe ich mich komplett verschätzt. Zu zweit werden Marcos und ich den
Topf garantiert nicht leeren können. Glücklicherweise flaniert Chris zu uns in
die Küche, lugt auf unsere Teller und fragt: »Cool. Kann ich auch was haben?«
Zack, schon steht ein Teller
Pasta vor ihrer Nase. Während wir an einem Tisch in der Küche unser Abendessen
verputzen, rennen um uns herum einige Pilger, die zwar Geld sparen wollen, aber
nicht kochen können. Neidvoll blicken sie auf unsere Pasta, und es heißt schon
was, neidvoll auf Spaghetti mit Dosen-Thunfisch zu blicken. Wenn sie etwas
abhaben wollen, wieso fragen sie nicht einfach? Ich würde sogar noch eine
Portion für sie kochen, wenn sie wollten. Stattdessen versuchen sie sich selbst
am Herd, allerdings mit mäßigem Erfolg. Chris, Marcos und ich
Weitere Kostenlose Bücher