Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Titel: Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maori Kunigo
Vom Netzwerk:
hinter uns und laufen eine Zufahrtsstraße entlang. Hinter dem
Dörfchen Población de Campos überqueren wir den Río Ucieza und laufen auf einer
schnurgeraden Landstraße monotone sechzehn Kilometer bis Carrión de los Condes.
Da Marcos einen wesentlich höheren Laufrhythmus bevorzugt, läuft er vor,
während ich gemütlich hinterhertrotte. In regelmäßigen Abständen lege ich kurze
Pausen ein, lasse die Füße baumeln und esse ein paar Kleinheiten. So langsam
wird es ziemlich heiß, gnadenlos klettert die Temperatur über die
Dreißig-Grad-Marke. Eine Weile laufe ich gemeinsam mit einem deutschen Geschwisterpaar,
Bruder und Schwester. Wie alle anderen Pilger um uns herum wollen die beiden in
Carrión bleiben. Auf der Landstraße links neben mir flitzen permanent Radpilger
vorbei. Der Camino selbst, ein Seitenpfad neben der Straße, ist gepflastert mit
unzähligen, völlig sinnfreien Wegmarkierungen aus Beton; wohl das sichtbare
Werk eines findigen Bauunternehmers.
    Es ist ziemlich genau zwölf
Uhr, als wir in Carrión de los Condes, einer touristisch vollständig
erschlossenen Kleinstadt, einmarschieren. Auf einem T-Shirt vor einem
Souvenirshop steht der Satz: »No pain, no glory.« Ich muss schmunzeln.
Wenn der Satz stimmen sollte, müssten wir bereits ziemlich nah an glory sein. Zu meiner Freude ist es Marcos viel zu früh, um jetzt schon den
Wanderstock in die Ecke zu stellen. Also kommt er mit. Er wird es ziemlich
schnell bereuen.
     
    Jeder einigermaßen vernünftige
Wanderführer (auch meiner) empfiehlt, die nun folgenden siebzehn Komma drei
Kilometer dringend in den Morgenstunden zu erledigen und im Sommer unbedingt die Mittagshitze zu meiden. Prima Idee also, um zwölf Uhr mittags aus Carrión
loszulaufen. Zwar bin ich nicht mehr ganz fit, als wir am ehemaligen Kloster
und jetzigen Hotel »Monasterio de San Zoilo« vorbeischreiten, aber doch fest
entschlossen, heute an meine zumindest physischen Grenzen vorzustoßen. Und das
scheint möglich, schließlich ist heute der bisher heißeste Tag auf meinem
Camino mit fünfunddreißig Grad im Schatten. Dummerweise soll es auf der
schnurgeraden Horror-Schotterpiste so gut wie keinen Schatten geben.
    Als Vorspeise werden einem fünf
Kilometer brütend heißer Asphalt kredenzt, bevor man auf die ehrenwerten zwölf
Restkilometer der Via Aquitana darf. Schon nach etwa einer halben Stunde auf
der geröllreichen Römerstraße (die Marcos und ich später » the fuckin’ Roman
path« taufen werden) bekomme ich plötzlich stechende Schmerzen im linken
Fuß, so dass ich sofort pausieren muss. Marcos geht schon mal vor, was
kommentarlos und ohne nachzudenken geschieht. Denn sowohl das Sprechen als auch
das Denken fällt einem bei der Hitze extrem schwer. Nach zehn Minuten
Stillstand geht es zum Glück weiter. Was folgt, ist physisch wie psychisch nur
schwer zu ertragen und mindestens ebenso schwer zu beschreiben. Wie ein
apathisches Opfer stapfe ich vorwärts, starre auf den Boden, versuche
verzweifelt den mittelgroßen bis gewaltigen Steinen auszuweichen, mit denen die
komplette Strecke übersät ist, höre einzig und allein den Rhythmus meiner
Schritte das eigene Keuchen, während mir die Sonne in den Nacken knallt. Nicht ein
erwähnenswerter Schatten fällt auf den schnurgeraden Pfad, und ich knicke im
Minutentakt um. Blöderweise ist es scheinbar nicht heiß genug, denn es wird gen
Nachmittag immer heißer. Schweiß rinnt, nein, fließt mir in die Augen, es
brennt, ich werde wahnsinnig, was mache ich hier überhaupt? Die Hitze weckt
Aggressionen, ich fluche, schnaufe, schimpfe. Links bis zum Horizont
ausgedörrte, abgeerntete Felder. Rechts bis zum Horizont ausgedörrte,
abgeerntete Felder. Außer Marcos und mir ist kein einziger Mensch auf der
schnurgeraden, brütend heißen Piste unterwegs. Weicheier, alles Weicheier! Ab
und an krame ich meine Kamera aus der Hüfttasche, den Albtraum muss ich
festhalten, meine Finger gehorchen mir kaum, habe das Gefühl, dass mir die
Gelenke platzen.
    In meinem Wanderführer steht,
dass man sich etwa auf halber Strecke Erfrischungen kaufen kann. Das bedeutet,
solange man diesen Punkt nicht erreicht hat, ist nicht einmal Halbzeit. Erst
nach einer gefühlten Ewigkeit taucht auf der rechten Seite ein weißer Container
auf; davor steht ein älterer Herr, der Kaffee, Wasser und sonstige Bestseller
anbietet. Ich kaufe mir eine Flasche Wasser und denke: Halbzeit und halbtot,
das passt. Außer mir hocken hier noch zwei Frauen herum, die eine

Weitere Kostenlose Bücher