Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen
Klack-klack-klack.
Gebückt suchen Gill und Hauptstraße von Rabanal ab, bis ich die Kappe entdecke:
Sie liegt in einem Gulli, und leider komme ich nicht ran. Dabei habe ich das
Teil doch erst gestern gekauft. Ich fluche herum, aber es hilft nichts. Gill
findet das alles halb so tragisch, und da sie weit und breit die einzige
Pilgerin ist, die durch meine Stöcke akustisch belästigt werden könnte, kehren
wir Rabanal schließlich den Rücken und machen uns auf den teils knackigen
Aufstieg in die Montes de León. Der abwechslungsreiche Weg, manchmal geradlinig
und klar, manchmal verschlungen und von dichtem Gebüsch flankiert, entschädigt
für jeden Tropfen Schweiß. Zwischendurch ziehen sogar einige Wolken auf, um uns
die Landschaft in einem anderen Licht zu präsentieren. Kaum ist die Hitze weg,
lässt es sich wesentlich entspannter den Berg hochkraxeln. Unterwegs an einem
Baum baumelt eine Schaukel. Einfach so. Ich probiere sie nicht aus, hätte es
doch etwas äußerst Lächerliches, samt Schaukel einen Abflug hinzulegen und sich
den Hals zu brechen. Er war ein guter Mann und starb beim Schaukeln in den
Bergen.
Nach etwa anderthalb Stunden
erreichen Gill und ich Foncebadón. Am Ortseingang steht ein längst vergessenes
Skoda-Wrack. Ich möchte das Fahrzeug erklimmen und Gill bitten, ein
Erinnerungsfoto zu schießen. Dass das keine besonders schlaue Idee ist, merke
ich erst, als ich mit beiden Füßen gleichzeitig auf der Motorhaube lande (dazu
muss ich erwähnen, dass meine Sprungkraft aus dem Stand legendär ist!).
Kniescheiben und Knöchel brüllen gleichzeitig: »Bist du eigentlich völlig bescheuert?!«
Da schone ich mich stundenlang, um einigermaßen heil den Berg hochzukommen, und
verwandle mich innerhalb einer Sekunde zur äußerst unvorteilhaften Kombination
Volltrottel/Sportinvalide. Gill lacht sich natürlich kaputt und hat beim
spontanen Fotoshooting ihre helle Freude. Zwangsläufig legen wir im
Ex-Geisterdorf eine Cola-Rast ein. Ich sag’ ja, wir sind heute nur am Rasten. Ex- Geisterdorf
deshalb, da der zwischenzeitlich verlassene und verfallene Ort aufgrund des
neuerlichen Pilgerbooms inzwischen wieder zaghaft besiedelt wird. So schießen
neben völlig verfallenen Ruinen nagelneue Häuser aus dem Boden. Ein absurdes,
wenig romantisches Bild. Nachdem wir den sauberen Boden des ortsansässigen
Restaurants ordentlich besudelt haben, kehren wir dem Dorf den Rücken und
machen uns auf zum etwa zwei Kilometer entfernten Eisenkreuz, dem auf einem
Eichenpfahl thronenden Cruz de Ferro. Oder besser gesagt zur Kopie, das
Original haben wir ja gestern im Bischofspalast von Astorga gesehen. Das Kreuz
markiert die mit tausendfünfhunderteinunddreißig Metern höchste Stelle des
Camino Francés auf spanischem Boden und die höchste Stelle zwischen
Saint-Jean-Pied-de-Port und Santiago de Compostela. Hier soll der Pilger all
seine Seelenlast in Form eines von Zuhause mitgebrachten Steines ablegen, um
anschließend beschwingt gen Tal zu schweben. Nach einer halben Stunde ist es
endlich soweit. Ich lege den aus meinem Heimatort Gladbeck mitgenommenen Stein
an den Eichenpfahl und denke mir meinen eigenen Teil, den ich nicht niederschreibe.
Während Gill und ich die unterschiedlichsten Steine um den Pfahl herum
bestaunen, rauscht ein weißer Wagen heran. Ein Taxi. Zwei Frauen in
Pilgermontur steigen aus, mustern uns etwas pikiert und besteigen den
Steinhaufen. Als sie ihre Fotokameras zücken, suchen Gill und ich das Weite.
Obwohl ich nicht besonders
spirituell unterwegs bin, fühle ich mich beschwingt und leicht euphorisiert.
Sowieso bin ich der festen Überzeugung, dass Gläubige einen wesentlichen
Vorteil gegenüber denen genießen, die des Glaubens unfähig sind. Wenn es um die
vermenschlichte, künstliche Definition Gottes der römisch-katholischen Kirche
geht, bezeichne ich mich als ungläubig. Wenn es allerdings um spirituelle
Gedanken geht, verbiete ich mir nichts. Schließlich gründen die meisten meiner
spirituellen Gedanken auf bestimmten fassbaren Ereignissen, und nicht auf
irgendeinem Drogenrausch. Ich meine, was unterscheidet uns Menschen vom Rest
der Tierwelt? Sicherlich nicht der Punkt, dass wir die Geilsten sind; oder die
Intelligentesten (hello Simon!). Nein. Wir besitzen Möglichkeiten, mehr als
jedes andere Lebewesen auf diesem Planeten. Und auch wenn der Mensch niemals
selbstlos agieren kann, so kann er doch durch sein Verhalten das Zusammenleben
leichtern. Wenn Spiritualität und Glauben zu
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