Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen
ein. Dort treffen wir
natürlich die zwei Jungs von gestern Abend wieder. Später hocken Marcos, Gill
und ich auf der Terrasse der Herberge und genießen die sagenhafte Aussicht auf
das weitläufige Umland. Meine Wäsche hatte offensichtlich einen angenehmen
Nachmittag. Im Laufe des Abends teilt sich die Terrasse wie von selbst in zwei
Lager: in das deutsche und das internationale. Ich bin mir immer noch nicht
sicher, was ich von den deutschen Zusammenrottungen halten soll. Um der
Einsamkeit zu entfliehen, die einen packt, wenn man nicht gerade mehrere
Fremdsprachen beherrscht wie Marcos, sind sie sicherlich ein hieb- und
stichfestes Gegenmittel. Ob ich mich allerdings zwischen all den Nasen, die
bereits in der Firma auf mich warten, wohlfühlen und meinen Camino gehen würde?
Sicherlich nicht. Gill, Marcos und ich jedenfalls bilden, entspannt über dies
und das plauschend, die internationale Hälfte.
Spätabends wollen Marcos und
ich noch kurz online gehen. In dieser Herberge ist die Nutzung des Internets kostenlos,
solch ein Angebot können wir natürlich nicht ausschlagen. Noch sind die
Rechnerplätze besetzt, also vertreiben wir uns die Zeit mit der Planung der
morgigen Etappe. Ich tendiere stark zu Foncebadón, was in etwa sechsundzwanzig
Kilometer bedeuten würde. Marcos dagegen will unbedingt vier Kilometer weiter
nach Manjarín, wo es laut meinem Pilgerführer lediglich eine »einfache, aber
sehr spezielle Herberge« ohne Strom- oder Wasseranschluss gibt. Ach ja, warum
eigentlich nicht? Neugierig bin ich, und stinknormale Herbergen kenne ich
inzwischen in- und auswendig.
Nach fünfzehn Minuten des
Wartens sind wir endlich an der Reihe. Doch schon nach wenigen Klicks stellt
sich ein Mittfünfziger direkt neben Marcos und beschwert sich über irgendetwas.
»Was ist los?«, frage ich
Marcos.
Der schüttelt nur den Kopf und
antwortet: »Er meint, dass wir uns beeilen sollen.«
Wie bitte? Der Typ macht
Stress, weil Marcos und ich nach fünf, zehn Minuten Wartezeit zehn Minuten
surfen? Gut zehn Leute vor ihm haben sich geduldig angestellt, miteinander
geplauscht etwas gelesen und gewartet, bis sie an der Reihe waren. Und jetzt
kommt Mister Schiebt-mir-eine-Extrawurst-in-den-Arsch und mault meinen
Pilgerfreund an? Großer Fehler. Nachdem ich meine E-Mails — unter anderem
eine an Avril — abgeschickt habe, gehe ich zu ihm und merke an: »Wir haben alle gewartet.«
Er guckt mich nur doof an und
fragt: »Was?«
Mir reicht’s. »Hör zu, alle
hier haben ihre verdammten fünfzehn Minuten gewartet. Also was ist dein
Problem? Da, mein Rechner ist frei, das hat aber gedauert, was?«
Bevor ich mich in Rage rede,
lasse ich den völlig verdutzten Mann stehen. »Ich bin im Schlafraum«, sage ich
zu Marcos und verschwinde. Als ich das Zimmer betrete, liegt der Denker in
Shorts und T-Shirt gekleidet immer noch ohne Schlafsack im Bett. Neben meinem
Schlafplatz steht das Fenster offen. Ohne Frischluftzufuhrwürden wir zu acht in
diesem winzigen Raum ersticken. Mit Frischluftzufuhr allerdings wird’s für den
Denker eine ziemlich frostige Nacht.
Etappe 13: San Martin
del Camino — Astorga (23,8 km)
Samstag, 12. September 2009
Im Großen und Ganzen bin ich
mit meiner Ausrüstung bisher mehr als zufrieden. Während andere Pilger mit
ihren viel zu schweren Rucksäcken kämpfen, schwinge ich nach jeder Rast meinen
Dreieinhalb-Kilo-Zwerg auf den Rücken und schwebe von dannen. Hätte ich das
Doppelte auf den Schultern, ich wäre längst bewusstlos zusammengebrochen.
Vermisst habe ich bisher übrigens auch noch nichts; man braucht auf dem Camino
einfach sehr wenig, um glücklich zu sein. Die Billigstöcke von Meru, einer
Eigenmarke von Globetrotter, gehen mir allerdings langsam auf die Eier. Erst
klemmt eines der Gewinde, dann sind die Schutzkappen nach zwei Wochen durch.
Ich hoffe, die brechen mir nicht irgendwo auf einem Felsvorsprung, und ich
mache den Cliff-Mann.
Aus Astorga heraus geht es über
eine Landstraße nach Murias de Rechivaldo. Viereinhalb Kilometer liegen hinter
uns, und wir legen unsere erste Rast ein. Wir betreten eine winzige Bar und
bestellen uns café con leche. Als Marcos und ich unser Schokogebäck
hervorkramen, raunzt die zierliche, aber drahtige und auch ein wenig
gewalttätig wirkende Frau: »Nicht in meiner Bar! Raus mit euch, los!«
Gill darf ihren Apfel drinnen
essen, ist aber trotzdem etwas eingeschüchtert.
Während Marcos und ich draußen
frierend unser Frühstück einnehmen, tritt
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