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Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Titel: Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maori Kunigo
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ebendiesem Ergebnis führen, dann
soll es so sein — wieso nicht?
    Endlich erreichen Gill und ich
unser heutiges Etappenziel Manjarín. Mein Pilgerführer weiß zu berichten, dass
das vor gut zweihundert Jahren vollständig verlassene Ruinendorf genau einen
Einwohner hat: »Tomás, der sich in der Tradition der Tempelritter sieht.« Tomás
Martínez, ein grauhaariger Mann mit Bart Brille, Baseballkappe und Bauchansatz,
führt seit 1993 die von ihm gegründete und gemeinsam mit Helfern aufgebaute,
äußerst spartanisch ausgestattete Pilgerherberge. Zwanzig Matratzen, keine
Duschen, kein fließendes Wasser, der Strom kommt aus dem Generator, um
zweiundzwanzig Uhr wird das Licht ausgeschaltet. Marcos ist bereits seit gut
drei Stunden hier und hat mit Tomás und seinen Helfern zu Mittag gegessen. Nun
sitzt er entspannt in der Sonne und krault dem ebenso entspannten Hund den
Nacken. Als er uns kommen sieht, hat er uns dringend etwas mitzuteilen. Es muss
Schicksal sein, oder irgendein kosmischer Scheiß mit Ying und Yang,
Gleichgewicht des Universums und so; kaum dass ich mich freue, neben ihm auch
noch unsere kleine Bochumer Pilgerrakete Chris wiederzusehen, deutet er schon
auf den schlafenden Sack drei Meter neben uns auf der Holzpritsche. Nein, nicht
schon wieder. Simon! Ich glaube, ich breche zusammen. Da gibt es vier
sensationelle Herbergen in Rabanal del Camino, zwei weitere in Foncebadón, eine
kirchliche in El Acebo sieben Kilometer weiter. Aber nein, Eure Gedanklichkeit
Simon I. wünscht hier zu nächtigen, mitten im Nichts, mit uns, verdammt!
    O-Ton Marcos: »Ich kann kaum
beschreiben, wie sich mein gesamter Körper anfühlte, als ich ihn (auf dem
Camino) wiedersah. Ich holte ihn ein, wie er da mit seinem Wanderstock
entlangging. Er sah mich und sagte zu mir, hätte er statt des Wanderstocks ein
Kreuz dabei, er wäre der Jesus Christus des einundzwanzigsten Jahrhunderts.
Und... es war sein voller Ernst!«
    Es ist un-fass-bar.
    Und was tut der Denker, nachdem
er aufwacht? Er geht hinter die Hütte, wo der teure Trinkwassertank steht, und
wäscht sich mit dem kostbaren Nass seine Füße! Aber wenn er sich für Jesus
hält, kann er ja eh machen, was er will. Während unseres Aufenthaltes flüstert
Tomás auf den Denker deutend Gill zu: »Tormento.« Das spanische Wort für
Qual, Plage, Folter. Passt.
    Unsere Schlafplätze befinden
sich direkt unterm Dach. Zwanzig Matratzen für nicht einmal zehn Pilger, da
müsste man sich doch einigermaßen ausbreiten können. Prima. Außerdem liegen
hier noch jede Menge Decken herum. Ich kann mir gut vorstellen, dass es hier im
Winter brutal kalt werden kann. Marcos’ Idee, nach Manjarín zu kommen und hier
zu übernachten, erweist sich — bis auf den Denker alias El Tormento — als
Glücksgriff. Letztendlich entscheiden sich sechs Pilger, in Manjarín zu
übernachten: Herr Hideo Abe aus Japan, der Denker, Chris, Gill, Marcos und ich.
Abe-san hängt sich sogleich an mich, den einzigen Asiaten weit und breit.
    »Sind Sie Japaner?«, fragt er
mich.
    Ich nicke. »Freut mich Sie
kennen zu lernen, ich heiße Maori.«
    Erleichtert atmet er auf. »Ich
heiße Abe.«
    Er stellt sich mit Nachnamen
vor, was ich als etwas zu höflich für den Camino empfinde. Aber in Japan ist
das üblich, so dass ich ihm kurz erklären muss, dass Maori mein Vorname ist.
Natürlich will er wissen, woher ich komme und was ich mache. Ich will von ihm
wissen, ob er in Saint-Jean-Pied-de-Port gestartet ist, was er bejaht. Alle
Japaner starten in Saint-Jean-Pied-de-Port, da kannst du dein Hab und Gut drauf
verwetten. Denn die japanischen Pilgerführer beginnen immer dort, und der
Japaner an sich weicht nicht easy peasy vom Plan ab wie unsereins. Wenn
der Weg laut Pilgerführer in Saint-Jean beginnt, dann wird er ab Saint-Jean
gegangen. Fertig, aus.
    Abe-san bemerkt: »Das hier ist
aber ein ungewöhnlicher Ort, nicht? So etwas habe ich noch nie gesehen.« Er
spricht den Ortsnamen »Mandschalinn« aus, was ich äußerst witzig finde. Hört
sich wie eine hinduistische Gottheit.
    »Ich finde es schön hier«,
antworte ich zugegebenermaßen äußerst unkreativ.
    »Wusstest du, dass das so ein
Ort ist?«
    »Deshalb sind wir extra hierher
gekommen«, erkläre ich ihm.
    Abe-san wirkt ratlos.
»Wirklich? Ich dachte, Mandschalinn sei ein ganz normales Dorf mit einer ganz
normalen Herberge. Hier gibt es ja nicht einmal eine Bäckerei.«
    »Oder Einwohner«, ergänze ich.
Sein japanischer Pilgerführer scheint ein

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