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Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Titel: Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maori Kunigo
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die temperamentvolle Barbesitzerin
aus der Tür, mm den Nachbartisch abzuwischen. Urplötzlich beginnt sie wie ein
Rohrspatz zu fluchen: »Wieso bringen die das Geschirr nicht rein? Lassen alles
stehen und liegen. Keine Pilger! Das sind keine Pilger!« Den Rest grummelt sie
in sich hinein, während sie das Geschirr zusammenräumt und in die Küche bringt.
Marcos und ich gucken uns etwas verdutzt an. Nachdem wir unseren Kaffee
ausgetrunken haben, tragen wir alles unverzüglich in die Bar.
    »Da abstellen!«, befiehlt die
Dame.
    Gill beobachtet uns und
kichert.
    Bald verabschieden wir uns, und
die Frau schreit uns ein »¡Buen camino!« hinterher, als würde sie uns
mit einer Steinigung drohen. Ein Blick in meinen Wanderführer verrät, dass wir
uns in der Region Maragatería befinden, die sich zwischen Astorga und der
Sierra del Teleno erstreckt. Die etwa fünftausend Einwohner, die Maragatos,
gelten als stolz und charakterstark. Ja, stolz und charakterstark, dagegen habe
ich ja nichts einzuwenden. Ich hoffe nur dass nicht alle Maragatos permanent
alles und jeden niederbrüllen Als wir wenige Minuten später neben einer
Landstraße entlangwandern, werden wir von einem lauten Knattern aufgeschreckt.
Als wir uns umdrehen und auf die Straße blicken, die parallel zum Camino
verläuft, sehen wir eine Kolonne unzähliger Traktoren auf uns zurollen. Was ist
denn hier los? Nach und nach fahren sie mit einem Höllenlärm an uns vorbei, und
wir können die unterschiedlichsten Farben, Modelle und Alter bewundern. Manche
von ihnen ziehen liebevoll restaurierte Anhänger hinter sich her. Gill und ich
winken den Männern auf den Traktoren zu, und sie winken fröhlich zurück. Ganze
vier Minuten lang geht das so weiter, bis die Parade schließlich an uns
vorübergezogen ist. Eine Traktorparade auf dem Camino hätte ich jetzt nicht
erwartet, muss ich zugeben. Auf jeden Fall hat sie unserer Stimmung richtig
gutgetan. Um etwa Viertel nach neun laufen wir in Santa Catalina de Somoza ein.
An der nächstbesten Bar stellen Gill und ich unsere Rucksäcke und Wanderstöcke
in die Ecke und gönnen uns eine weitere kleine Rast. Ich merke, dass es Marcos
nicht passt. Er möchte heute so schnell laufen wie er verträgt, so dass er sich
kurz hinter dem Ort von uns absetzt. Dann absolvieren Gill und ich die Etappe
eben als Duo. Die heutige Strecke ist wahrlich nicht ohne: Bis zum höchsten
Punkt des Camino Francés in über tausendfünfhundert Metern Höhe, wo das Cruz de
Ferro steht, geht es konstant bergauf. Ununterbrochen muss ich darauf achten,
nicht schon wieder zu schnell zu gehen. Unterwegs fällt uns eine hübsche junge
Dame auf. Obwohl wir sie niemals wandern, sondern immer nur am Straßenrand
rasten sehen und überholen, ist sie immer wieder vor uns.
    Nach dem dritten oder vierten
Mal wird es Gill und mir ein wenig unheimlich.
    Heute ist ein wunderbarer
Wandertag: Nicht zu heiß, nicht zu kalt, die Strecke ist abwechslungsreich, und
dank unserer ausnahmsweise vorhandenen Disziplin legen wir etliche Pausen ein.
In so gut wie jedem Dorf halten wir an, setzen uns in eine Bar und trinken oder
essen etwas. Meistens läuft Gill einige Meter vor oder hinter mir, so dass
keine dauerhafte Unterhaltung entsteht. Mal reden wir über dies, mal über das,
und so erfahre ich Details nur im Stundentakt. Gill ist trotz ausgeprägter
Smalltalk-Liebe eine nachdenkliche Zeitgenossin. Leider benutzt sie häufiger
etwas komplexere Satzbauten, so dass ich nicht alles auf Anhieb verstehe. Dabei
arbeitet sie als Grundschullehrerin; das verdeutlicht eigentlich nur mein
Englischniveau. Jedenfalls möchte sie bald auch höhere Schulklassen
unterrichten. Um anspruchsvollere und damit besser bezahlte Stellen annehmen zu
können, möchte sie sich nun weiterbilden. Wobei »möchte« das falsche Wort ist,
wird sie doch trotz ihrer Kompetenz gezwungen, irgendwelche zeitraubenden
Prüfungen abzulegen, nur um offiziell als geeignet zu gelten.
    »Den meisten Schulen ist ein
abgeschlossenes Studium wichtiger als Lebenserfahrung«, beschwert sie sich
lautstark. »Kein Wunder, dass zu viele Kinder Schwierigkeiten mit ihrer
Persönlichkeitsbildung haben!«
    Ihrer Meinung nach neigt sich
die Bildungswaage zu sehr auf die Sich-merken-Seite, weg von der
Selbst-denken-Seite. Ja, ungefähr so funktioniert die japanische Gesellschaft,
und auch in Deutschland sind wir auf dem besten Weg dorthin. Mit neunundzwanzig
will Gill endlich ein berufliches Fundament schaffen, auf sie so

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