Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen
Aktuell allerdings schaffe ich es lediglich,
mit Ach und Krach ins Dorf zu hinken. Zu viert — Chris, Marcos, Evelyn und ich
— suchen wir nach einer großartigen, urigen, typisch spanischen... im Grunde
ist es uns völlig egal. Wir haben einfach einen monströsen Hunger, und außer
Evelyn sind alle etwas knatschig. Also marschieren wir in ein furchtbar
eingerichtetes Fastfood-Restaurant. Der Burger, den sie mir kredenzen, ist der
wohl schlechteste Burger a) der Welt und b) aller Zeiten. Wie können so viele
Zutaten (Getreide, Rindfleisch, Salat, Tomaten, Käse, Ei, Zwiebeln) nach so
wenig schmecken? Dafür bin ich zurück nach Cacabelos Downtown gehinkt?
Man möchte vermuten, dass einen der permanente Verzicht auf dem Camino
bescheidener und gelassener macht. Aber egal wie weit ich auch durch die Gegend
wandere, für acht Euro achtzig erwarte ich zumindest eine grobe
Geschmacksrichtung.
Unbefriedigt hinke ich mit den
anderen zur Herberge zurück. Gegenüber befindet sich eine Wohnanlage für
Senioren. Sogar deren Bewohner sehen heute wesentlich fitter aus als ich. Bei
dem aktuellen Wandertempo fällt es mir immer schwerer, die Zeit auf dem Camino
zu genießen. Heute habe ich einmal mehr einen richtig qualvollen Tag erlebt;
den dritten in dieser Intensität. Irgendwann reicht es dann auch mit Schmerzen.
Bisher waren meine Beschwerden nur spürbar, jetzt sind sie auch noch sichtbar:
Der dick geschwollene Knöchel bereitet mir Sorgen. Morgen früh werde ich
entscheiden, ob ich weiterhin diese Distanzen zurücklegen möchte, radikal
abbremse oder gar einen Tag aussetze.
Abends wirkt die sanft
beleuchtete Kirche im Innenhof besonders magisch. Nach und nach verkriechen
sich die Pilger in ihre Zweierkabinen. Marcos und ich sind mit die letzten, die
sich schlafen legen. Während wir so daliegen, unterhalten wir uns flüsternd
über die Ereignisse des Tages. Plötzlich hören wir aus der Nebenkabine ein
forsches »Psssst!« Marcos und ich verstummen augenblicklich. Leider sind die
Kabinen nicht vollständig voneinander abgetrennt, sondern nur durch eine etwa
zweieinhalb bis drei Meter hohe Trennwand. Darüber sind die Kabinen allesamt
miteinander verbunden. Nicht einmal unterhalten kann man sich hier also. Im
nächsten Moment beginnt in der Nebenkabine ein Handy zu klingeln. Ironie des
Schicksals, das Leben hat einfach die besten Geschichten parat. Marcos und ich
müssen natürlich loslachen, und die beiden Nachbarinnen lachen mit. Schnell
wird das Handy ausgeschaltet und wir wünschen uns durch die Wand eine gute
Nacht.
Etappe 15: Manjarín
— Cacabelos (35,9 km)
Montag, 14. September 2009
Mit einem nicht mehr ganz so
dicken, aber immer noch stark übergewichtigen Knöchel gehe ich den heutigen Tag
an. Glücklicherweise schenkt mir Marcos eine Knöchelbandage, die verhindern
soll, dass sich der Fuß zu stark hin und her bewegt. Ob das hilft, werde ich
sehen. Von Tomás’ Helfer in Manjarín haben wir die Empfehlung bekommen,
unbedingt in Ruitelán bei hospitalero Carlos vorbeizuschauen. Bis
dorthin sind es achtundzwanzig Kilometer, etwa acht weniger als gestern. Meine
Knöchel werden es mir hoffentlich danken. Logischerweise gestalte ich den
Etappenstart relativ ruhig, während Marcos schon wieder zum Sprint ansetzt. Es
dauert nicht lang, und ich laufe ganz allein die kaum befahrene Landstraße
entlang. Zum Glück verlässt der Camino sie nach kurzer Zeit und biegt in einen
Feldweg ab.
Inzwischen nennen wir das Dorf
einer Etappe, in dem wir zu frühstücken gedenken, »Café-con-Leche-Town«. Unsere
heutige Café-con-Leche-Town ist gut acht Kilometer entfernt und hört auf den
klangvollen Namen Villafranca del Bierzo. Hier scheint es von Villafrancas nur
so zu wimmeln. Auf halber Strecke dorthin fliegt Evelyn an mir vorbei, aber ich
lasse mich nicht zu einem schnelleren Tempo verleiten; auf der heutigen Etappe
könnte ich das bitter bereuen. Stattdessen schleiche ich extrem langsam voran
und nutze die Zeit, um die traumhafte Umgebung zu genießen. Nach der
wüstenähnlichen, flachen und ausgedörrten Meseta bildet die hügelige, von
saftigem Grün bewachsene Landschaft einen willkommenen Kontrast. Immer wieder
entdecke ich in fernen Tälern gelegene, abgeschiedene Dörfer, vollständig
umgeben von Feldern mit akkurat aufgereihten Weinreben. Am Ortseingang von
Villafranca el Bierzo wartet Marcos auf mich, und gemeinsam passieren wir die
Iglesia de Santiago aus dem zwölften Jahrhundert. Zwar stellt der
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