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Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Titel: Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maori Kunigo
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irgendwo, beginnt meine Herzfrequenz in die Höhe zu schießen,
die Nervosität steigt, und manchmal kann es vorkommen, dass ich in Panik gerate
und um mein Leben fürchte. Und obwohl mir damals, als ich per Anwalt systematisch
unter psychischen Druck gesetzt wurde, eigentlich alles scheißegal war, ganz
spurlos geht solch eine Erfahrung an niemandem vorbei.
    Ein Blick in meinen
Wanderführer verrät allerdings, dass mitnichten auf uns geschossen wurde. Am
14. September steigen in Villafranca die Patronatsfeiern Santísimo Cristo de la
Esperanza mit Prozessionen und Umzügen. Können die sich nicht einfach aufs
Tanzen und Saufen beschränken? Immer dieses Geballer.
    Bald erreichen wir einen
gewaltigen Esskastanienwald. Über uns ragen die stolzen Baumkronen in den
Himmel, und wir müssen aufpassen, dass wir nicht von herunterfallenden
Kastanien getroffen werden. Aus unbekanntem Grund habe ich es mir in den
vergangenen Tagen angewöhnt, mich ab und an umzusehen. Gestern beispielsweise drehte
ich mich in Cacabelos um, und genau in diesem Moment kam Chris auf uns
zugelaufen. Wieder verspüre ich den Drang mich umzudrehen, und wer kommt da in
flotten Schritten auf uns zugeflogen? Schon wieder Chris! Wo kommt die denn auf
einmal her? Ich vermute stark, dass sie sich mit dem Aufstieg nicht so viel
Zeit gelassen hat wie Marcos und ich. Wir freuen uns total, uns hier oben
wiederzusehen. Nachdem wir uns kurz gegenseitig versichert haben, Simon
nirgendwo gesehen zu haben, wandern wir zu dritt weiter. Nur wenige Kilometer
weiter lockt ein Schild zu einer Bar. Aber, liebe Berggastronomen, fünfhundert
Meter vom Weg entfernt bedeutet einen Kilometer extra für einen Kaffee, das
muss definitiv überdacht werden. Kommentarlos wandern wir weiter, und zeitweise
ist der Weg nur schwer zu erkennen. Kaum dass wir den Kastanienwald verlassen,
beginnt auch schon der wahnwitzig steile Abstieg. Da sich mein dicker Knöchel
meldet, bewege ich mich maximal mit zwei Kilometern pro Stunde voran. Ich muss
meinen Stock reparieren, ansonsten kann ich mich gleich ins Gras legen und es
bleiben lassen.
     
    Geschafft — zumindest die
ersten neunzehn Kilometer des heutigen Tages. Wir sitzen vor der Herberge von
Trabadelo und wundern uns, wie flott wir den camino duro hinter uns gebracht
haben. So wahnsinnig schwierig war der gar nicht. Aber es herrscht ja auch mal
wieder ein Bombenwetter, und außerdem haben wir unsere Schrittfrequenz konstant
niedrig gehalten. Gerade eben habe ich wieder einen neuen Begriff gelernt,
nämlich zumo de naranja, auf Deutsch O-Saft. Entschuldigen Sie bitte,
ich hätte gern Saft der Orange. Wenn wir im Deutschen genauso reden würden, ich
fände das durchaus witzig. Königliches Madrid Klub des Fußballs. Wieso wir
immer alles aneinanderreihen müssen? Fußballweltmeisterschaftsqualifikationsspiel.
Schienenverkehrsüberwachungssystem. Der Spanier würde seine Auswahl der Spieler
des Landes ausschließlich zu einem Spiel der Qualifikation der Meisterschaft
der Welt des Fußballs schicken. Und renfe benutzt garantiert nur Systeme zur Überwachung des Verkehrs auf Schienen.
    Von Chris borge ich mir ein
paar Zentimeter Leukoplast, um das abgebrochene Stück meines Wanderstocks zu
fixieren. Und siehe da, das Zeug ist nicht nur gut, um abgerissene
Unterschenkel an den Kniestumpf zu kleben, sondern auch zur Behebung
lebensbedrohlicher Produktionsmängel im Hause Meru. Meine fachgerechte
Reparatur, Typ »Mumie 2009«, hält bombenfest. Damit müssten die restlichen
Kilometer nach Ruitelán doch ein Klacks sein.
    Aber von wegen: jetzt kommen
auch wir in den Genuss der Nationalstraße. Lediglich zweieinhalb Kilometer
laufen wir an ihr entlang, aber die reichen uns vollkommen. Verglichen mit der
N-VI ist die N-120 ein idyllischer Spazierweg für Kinder und Senioren Mit
unchristlicher Geschwindigkeit rasen tonnenschwere Lkws an uns vorbei, pusten
uns jede Menge grauen, trockenen Straßenstaubs ins Gesicht. Zehn Kilometer mehr
davon, und mir wären wohl sämtliche Sicherungen durchgebrannt. Inzwischen ist
mein Knöchel mal wieder dermaßen dick, dass mir Chris und Marcos längst enteilt
sind. Egal. Ich muss jetzt mit aller Konsequenz meine Geschwindigkeit halten.
Oder besser gesagt: Wenn ich nicht meine Geschwindigkeit halte, werde ich mit
allen Konsequenzen rechnen müssen.
    Als Pilger erkenntlich, wird man
von allen möglichen Leuten gegrüßt: von Dorfbewohnern, Nonnen, Bauern auf
Traktoren, Kassiererinnen, Bier trinkenden

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