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Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Titel: Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maori Kunigo
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durchaus bereichernd, nicht als
heißen Dampf. Plötzlich steht die Bewohnerin des Hauses vor uns und möchte ins
Haus. Wir entschuldigen uns und wollen aufstehen, aber sie sieht das ganz
anders. Ihrer Meinung nach werden ruhende Pilger nicht verscheucht, sie besteht
darauf, dass wir bleiben. Sie möchte nur an uns vorbei ins Haus und betont Gill
gegenüber noch einmal ausdrücklich, dass wir sitzenbleiben dürfen, solange wir
wollen. Nun ja, das ist nett, aber so lang wollten wir nun auch wieder nicht
bleiben. Nachdem wir uns einigermaßen fit fühlen, wagen wir uns wieder auf den
Camino.
    Während ich in Zeitlupe hinter
Gill hertrotte, merke ich bereits, dass mit meinen Knöcheln etwas nicht stimmt.
Der unendlich lange knallharte Bürgersteig Richtung Ponferrada trägt auch nicht
besonders zu ihrer Schonung bei. Aber ich bleibe optimistisch, schließlich habe
ich heute noch fast zwanzig Kilometer vor mir. Eigentlich wollte ich nur bis
Ponferrada laufen, aber Chris warf gestern ein, dass bisher alle großen Städte
schrecklich gewesen seien. Deshalb schlug sie vor, dass wir im beschaulichen
Cacabelos einkehren. Ich persönlich habe nichts dagegen einzuwenden,
schließlich reizt Ponferrada mich nicht im Geringsten. Einzig und allein die
Templerburg möchte ich mit eigenen Augen sehen, und die liegt auf unserem
geplanten Weg.
    Etwa eine Dreiviertelstunde
hinter Molinaseca hockt Marcos auf dem Bürgersteig und lässt es sich gut gehen.
    »Da seid ihr ja endlich!«, ruft
er erfreut und rappelt sich auf. »Ich warte schon seit einer halben Stunde hier.«
    Zu dritt stapfen wir weiter
nach Ponferrada, der Hauptstadt der comarca (regionaler
Verwaltungsbezirk) El Bierzo. Am äußersten Rand der stetig wachsenden, von
aktuell knapp siebzigtausend Menschen bevölkerten Stadt, steht eine sperrige
Großherberge. Und genau da möchte Gill absteigen, denn unser Tempo ist ihr auf
Dauer dann doch etwas zu hoch. Sie ist einfach fix und fertig. Ich habe einen
Riesenrespekt vor meiner tapferen Gefährtin, schließlich hat sie untrainiert
einen rabiaten Kaltstart hingelegt und einhundert Kilometer in vier Tagen
geschafft. Und das nicht durch das Flachland Schleswig-Holsteins, sondern
einmal komplett über die Montes de León. Außerdem hat sie theoretisch fast bis
zum Monatsende Zeit. Gerade als ich mich an sie gewöhnt habe, verlässt sie uns
wieder. Ich gebe es zu, ich bin ein wenig traurig. Aber Trauer wird mir auf den
nächsten fünfzehn Kilometern von den Betonplatten unter meinen Füßen aus mir
herausgeprügelt. Erst einmal passieren wir allerdings die stattliche
Templerburg, die eine wechselhafte Geschichte hinter sich hat. Der Nordteil
wurde im zwölften Jahrhundert erbaut, der Südteil im fünfzehnten. Durch
politische Querelen und die Auflösung des Templerordens zu Beginn des
vierzehnten Jahrhunderts wechselte die Festung mehrmals den Besitzer. Ab der
Mitte des neunzehnten Jahrhunderts verschacherte die Stadtverwaltung
Mauerstücke als Baumaterial. Schon damals hatten die Bürokraten nur Blödsinn im
Kopf. 1924 wurde diese unfassbare Dummheit von höchster Stelle unterbunden und
die Burg zum nationalen Denkmal erhoben. Seitdem arbeiten zahlreiche Historiker
daran, die bereits zerstörten Teile zu rekonstruieren. Natürlich fragt man
sich, wieso die Spanier eine solch geschichtsträchtige Burg ohne mit der Wimper
zu zucken als Steinbruch verwendet haben. Ganz einfach: Nur zeitliche Distanz
und eine ausführliche historische Reflektion verwandeln einen Steinhaufen in
ein historisch bedeutsames Gebäude. Ich meine, in Syrien oder Äthiopien werden
ganze Wohnsiedlungen von vor mehreren tausend Jahren denkmalgeschützt. Ganz
normale Häuser. Niemand würde auf die Idee kommen, Plattenbauten in Stralsund
unter Denkmalschutz zu stellen und sich dagegen aussprechen, sie bei Leerstand
als Steinbruch zu nutzen. Aber in achthundert Jahren sieht das Ganze vielleicht
etwas anders aus.
    Der Weg aus Ponferrada
gestaltet sich erwartungsgemäß: Wie jede größere Stadt auf meinem bisherigen
Weg wird auch diese hier von einer Riege hässlichster Neubauten umringt. Meine
Vorstellungskraft reicht hinten und vorne nicht, um zu begreifen, woher die
ganze Kohle stammen soll. Aber die Spanier (oder wer auch immer) bauen wie
wahnsinnig, völlig außer Kontrolle. Hunderte gigantischer Wohnblöcke, ja ganze
Stadtviertel stehen praktisch leer, die Straßen sind wie ausgestorben, aber wen
kümmert das? Es wird immer weitergebaut, ein Hochhaus nach dem

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