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Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Titel: Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maori Kunigo
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einschiffige
Klotz wahrlich keinen Höhepunkt der Architekturgeschichte dar. Etwa ab dem
siebzehnten Jahrhundert allerdings waren zahlreiche Pilger heilfroh, die Kirche
zu erblicken.
    Denn war man zu krank und zu
schwach, um den beschwerlichen Weg über den Cebreiropass anzugehen, wurde einem
beim Durchschreiten des Nordportals die Absolution erteilt. Deshalb wird
Villafranca del Bierzo auch »Das kleine Compostela« genannt. Einen winzigen
Haken hat die Sache: Das Nordportal, auch Puerta del Perdón (deutsch:
Gnadenpforte) genannt, wird ausschließlich in Heiligen Jahren geöffnet. Hatte
man Pech, musste man neun Jahre warten, bis das Portal wieder geöffnet wurde.
Denn ein sogenanntes Heiliges Compostelanisches Jahr wird begangen, wenn der
Tag des Jakobus, der 25. Juli, auf einen Sonntag fällt. Der Jahresrhythmus
lautet: sechs, fünf, sechs, elf; die letzten Heilige Jahre waren 1965, 1971,
1976, 1982, 1993, 1999 und 2004. Wenn ich also mit meinem dicken Knöchel auf
der Stelle zusammenbräche, müsste ich nur knapp dreieinhalb Monate warten. Dann
beginnt das Heilige Jahr 2010.
    Bevor ich auf irgendwelche
dummen Gedanken komme, schleppt mich Marcos weiter. Im Gegensatz zu Villafranca
Montes de Oca ist dieses Villafranca ein wahres Schmuckstück. Seit dem
Mittelalter scheint sich nicht allzu viel verändert zu haben. Schon kurz nach
der Iglesia de Santiago passieren wir den Castillo-Palacio de los Marqueses de
Villafranca (deutsch: Burgpalast der Markgrafen von Villafranca), eine
kompakte, quadratische Privatburg aus dem sechzehnten Jahrhundert. Da das Dorf
ohne großartige Veränderung der Landschaft auf den hügeligen Grund gepflanzt
wurde, sind die Altstadtgassen mindestens so steil und durcheinander wie in
Wuppertal. Bald erreichen wir den nahezu menschenleeren plaza mayor von
Villafranca und nehmen unser bescheidenes Frühstück zu uns. Mal eben acht
Kilometer vor dem Frühstück abgegrast; das hätte ich mir mit meinem läppischen
Kreislauf vor ein paar Monaten wohl kaum zugetraut. Seit Avril mit diesem
gesungenen »Bocadillo-Man« angefangen hat, bestelle ich mir zum Frühstück immer
seltener eines. Stattdessen kommen immer häufiger unterschiedlichste Backwaren
mit Schokolade auf den Tisch: Teigrollen mit Schokoladenfüllung,
Schokocroissants, Brötchen mit Schokoladenstückchen. Aber meinem café con
leche bleibe ich treu, der gehört für mich irgendwie zum Camino dazu wie
die gelben Pfeile oder die Agua-no-potable-Schilder.
    Auf dem Weg zum Ortsausgang
ertappen wir einige Taxipilger. Zwei junge Frauen hieven ihre viel zu schweren
Rucksäcke in den Kofferraum und brausen davon. Was soll’s, denken wir uns, sie
werden sicher ihre Gründe haben. Auf dem Camino soll man ja nicht allzu schnell
urteilen, genau wie im richtigen Leben. Wie oft habe ich mich selbst dabei
ertappt, die Taxipilger zu verspotten und sich über sie zu beklagen. Aber
genauso gut könnte sich eine der beiden verletzt haben, oder sie sind mit
Familienangehörigen in der nächsten Stadt verabredet und haben es zeitlich
einfach nicht geschafft. Mein Charakter würde einen stattlichen Schritt nach
vorn machen, wenn ich es mir endlich abgewöhnen würde, Menschen vorschnell zu
kategorisieren. Ich bin ja keine hirnlose Boulevardzeitung mit vier großen
Buchstaben, sondern ein Mensch mit Denkvermögen und Verstand. Wenn möglich,
sollte meiner Meinung nach niemand auch nur auf einen einzigen Kilometer verzichten.
Aber eben nur, wenn möglich.
    Nachdem wir einmal mehr
vergeblich nach gelben Pfeilen suchen, spricht Marcos einen älteren
Einheimischen an. Bei der Gelegenheit möchte ich kurz anmerken, dass wir uns
inzwischen auf das Ansprechen älterer Einheimischer spezialisiert haben. Zwar
dauert es bei ihnen gern einige Minuten länger, dafür erfahren wir bei jeder
Kontaktaufnahme sehr viel Warmherzigkeit, Zuneigung und Freude. Jüngere
Einheimische sind zwar ebenso hilfsbereit, sie gehen jedoch weitaus
pragmatischer vor und wollen den hilflosen Pilger lediglich informieren. Bei
älteren Menschen hatten wir bisher stets das Gefühl, dass es ihnen wie ein
Privileg erscheint, Ihren persönlichen Beitrag zum Gelingen einer Pilgerschaft
nach Santiago de Compostela zu leisten. Sowohl in der Motivation als auch in
der Gesprächsführung ein gewaltiger Unterschied. Auch diesmal werden wir von
einer Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft umhüllt, dass es uns schwer fällt,
den warmherzigen Senior zurückzulassen und unseren Weg

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