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Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Titel: Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maori Kunigo
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fortzusetzen.
    »Hallo, Pilger!«, begrüßt er
uns und zeigt uns grinsend seine ihm verbliebenen Zähne.
    Marcos übernimmt das Ruder.
»Entschuldigen Sie, wir suchen den Camino de Santiago.«
    »Das ist ganz einfach, mein
Freund.« Mit Handzeichen und Elan erklärt er uns den Weg. »Bis wohin wollt ihr
heute laufen?« fragt er uns schließlich. Diese Frage stellt uns eigentlich
jeder, egal ob Einheimischer, Mitpilger oder hospitaleros.
    »Nach Ruitelán«, antwortet
Marcos.
    Der Alte nickt. »Hinterm Dorf
könnt ihr über die Landstraße oder über den Berg. Entscheidet euch für den
Berg.«
    »Das wollten wir sowieso«,
bemerkt Marcos. »Lohnt es sich?«
    »Ja, auf jeden Fall. Ein
wundervolles Panorama, man kann unendlich weit blicken. Erst einmal geht es
steil bergauf, aber dann... Traumhaft, einfach traumhaft! Rechts hoch, da steht
auch ein Schild, ihr könnt es nicht verfehlen.«
    Wir bedanken uns herzlich, und
er wünscht uns einen buen camino.
    Die Wegbeschreibung ist
perfekt. Wir überqueren den Río Burbia und stehen vor der Abzweigung. Mit einem
knapp formulierten Verkehrsschild werden wir vor die Wahl gestellt: Links geht
es durchs flache Tal zehn Kilometer nach Trabadelo, rechts über den so
genannten camino duro (deutsch: beschwerlicher Weg), also über ein paar
Berge elf Kilometer in dasselbe Dorf. Und was macht man, wenn man mit einem
kaputten Stock und einem dick geschwollenen Knöchel unterwegs ist? Richtig, man
wählt den steilen Berghang. Auf einem Schild wird noch einmal eindringlich
gewarnt- »Camino muy duro. Solo para buenos caminantes ...« Sehr
beschwerlicher Weg. Nur für gute Wanderer. Kein Ding, wir halten uns für
fabelhafte Wanderer. Mein Knöchel ist zwar ganz anderer Meinung, aber mit der
richtigen Laufgeschwindigkeit müssten läppischen vierhundertsechzig Meter Auf-
und dreihundertachtzig Meter Abstieg problemlos möglich sein. Ergo schleppen
Marcos und ich uns im Schneckentempo den Berg hinauf. Irgendwann blicke ich
zurück ins Tal nach Villafranca del Bierzo, und der Anblick verschlägt mir erst
einmal den Atem. Durch die sagenhafte Aussicht kehren sämtliche Lebensgeister
in meinen gebeutelten Körper zurück: Hinter den fernen Montes de León klettert
die strahlende Morgensonne den Himmel hinauf. Die Dächer Villafrancas schimmern
und funkeln, und hier und da ziehen zerbrechliche, milchige Nebelschwaden
durchs Tal. Flugs verwandelt sich der eigentlich knallharte Aufstieg in ein
Fotoshooting. Weit und breit ist niemand zu sehen, und Marcos und ich lassen
uns alle Zeit der Welt, die spektakuläre Landschaft zu genießen. Wir bemerken
nicht einmal, dass wir bereits oben angekommen sind, denn immer noch blicken
wir permanent links hinunter ins Tal, wo wir all die armen Pilger vermuten, die
sich statt für diesen Traum hier oben für die extrem unspannende Nationalstraße
N-VI entschieden haben. Einige Kilometer wandern wir schattenlos am Berghang
entlang, hier und da unter surrenden Stromleitungen hindurch, als es plötzlich
hinter uns brutal laut knallt. Marcos und ich zucken erschrocken zusammen und
drehen uns um. Nichts. Nur wenige Sekunden später knallt es erneut. Meine
Fresse, ist das laut! Ganze zwölfmal ballert es hinter uns, und jedes Mal
schüttelt es mich ordentlich durch.
    Seit jeher löst lautes Knallen
Angstzustände in mir aus. Deshalb ist für mich die Silvesternacht auch die
schlimmste Nacht des Jahres. Die Unart in Deutschland, am Jahreswechsel
Hunderte Millionen Euro in die Luft zu jagen, ist mir abgrundtief zuwider. Als
ich fünfzehn war, habe ich mit einem Freund in unserem Garten ein paar D-Böller
hochgejagt. Aus Übermut warf er einen davon in eine Glasflasche. Sie
explodierte und mein Freund erblindete auf einem Auge. Ich war damals noch
Brillenträger, weshalb ich mein Augenlicht behalten durfte. Danach ging der
Scheiß richtig los. Seine Eltern, für die ich bis heute nichts als Verachtung
übrig habe, zeigten mich wegen schwerer Körperverletzung an. In unserer Schule
erzählten sie herum, ich hätte den Böller in die Flasche geworfen. Lehrer und
Schüler kamen zu mir, machten Witze, machten Vorwürfe, wochenlang ein einziger
Spießrutenlauf. Was soll ich halten von zwei vermeintlich erwachsenen Menschen,
die die Wahrheit nicht akzeptieren wollen und ein Kind gezielt fertigmachen,
jahrelang prozessieren, obwohl sie keine Chance auf Erfolg haben? Mit der
Volljährigkeit hat mein Freund das Ganze stoppen lassen, und der Spuk war
vorbei. Knallt es

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