Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen
liegt.
Der Name »Galicien« geht auf die kelto-iberischen Galläker zurück, die sich
hier im Altertum niedergelassen haben und bis heute einen maßgeblichen Einfluss
auf die galicische Kultur ausüben. Besonders die galicische Sprache
unterstreicht die Eigenständigkeit der hier lebenden Menschen. Sie ähnelt mehr
dem Portugiesischen als dem Spanischen und bringt das X ins Spiel. Ich liebe
das galicische X. Meistens wird es »sch« ausgesprochen, manchmal aber auch wie
»ks«. Die junta heißt ab sofort xunta, caja wird zu caixa, Jakob heißt nun Xacobeo. Wie in beinahe jeder Autonomen Gemeinschaft sind auch
in Galicien Befürworter der Unabhängigkeit von der spanischen Krone unterwegs.
Auf offiziellen Plan-E-Schildern ist häufig der Buchstabe J durch ein X
übersprüht. Allerdings sind die Unabhängigkeitsbefürworter hier im Norden klar
in der Minderheit; wegen der relativ überschaubaren Finanzkraft kann man es
sich hier nicht erlauben, in die Hand zu beißen, die einen füttert.
Von nasskaltem Wetter
begleitet, erreichen wir bald das vollständig sanierte Museumsdorf O Cebreiro.
Alles scheint etwas zu gerade, zu sauber, zu gut erhalten. Mit den Reisebussen
und Souvenirshops wirkt das Ganze ziemlich lächerlich, und wir Pilger werden
von den Touristen neugierig beäugt. Viele Pilger finden das Dorf total toll.
Ich allerdings bin der Ansicht, dass andere Dörfer auf dem Weg deutlich mehr
Charme versprühen, da sie nicht so glattgelutscht daherkommen. Spontan fällt
mir El Acebo ein, das idyllische Dorf in den Bergen. Pflichtbewusst besuchen
wir die älteste erhaltene Kirche am Jakobsweg, die im neunten Jahrhundert
erbaute Iglesia de Santa María la Real, in der sich das sogenannte
Hostienwunder ereignet haben soll. In meinem Wanderführer steht, dass sich um das
Jahr 1300 ein frommer Bauer in einer stürmischen Winternacht zur Messe hierher
hochgekämpft haben soll. Als der nur mäßig gottesfürchtige Mönch, der mit der
Liturgie betraut war, abschätzig bemerkte: »Was für ein Dummkopf, erträgt so
ein Unwetter, nur um ein Stück Brot und ein bisschen Wein zu sehen!«,
verwandelten sich Hostie und Messwein in echtes Fleisch und Blut. So die
Legende. Ich persönlich finde das ekelig, aber die katholische Kirche findet
die Geschichte immer noch super. In zwei Glasphiolen soll das verwandelte Zeug
ausgestellt sein, aber in besagten Phiolen ist eigentlich nichts Berauschendes
zu erkennen.
Maßlos enttäuscht von dem ach
so hoch gehandelten O Cebreiro, machen wir uns auf Richtung Ortsausgang. Dort
allerdings suchen wir erst einmal nach Anhaltspunkten zum Verbleib des Camino.
Weit und breit ist kein gelber Pfeil zu sehen. Etliche Pilger wandern auf der
Straße entlang Richtung Tal. Eine Abkürzung, aber weder schön noch richtig, wie
sich bald herausstellt. Endlich hilft uns der Wanderführer mit einer
Wegbeschreibung weiter: Wir gehen links an der Großherberge vorbei einen
Wanderweg hinauf in den Wald. Obwohl weiterhin an Pfeilen gespart wird, bleiben
wir einfach auf dem Weg. Und siehe da, irgendwann am Ende des Weges tauchen
auch wieder ein paar Pfeile auf. Den gesamten Tag über fühle ich mich heute
bestens, dafür geht es Chris und Marcos nicht so gut. Während Chris wohl einen
echten Durchhänger hat, kämpft Marcos mit starken Schmerzen an der
Achillesferse. Nach einigen Kilometern entscheidet sich Chris, am bronzenen
Pilgerdenkmal von San Roque eine Pause einzulegen. Marcos und ich setzen
unseren Weg fort und genehmigen uns hier und da kleine Pausen.
Langsam, aber sicher baut sich
meine gute Laune dann doch ab. Die letzten sechs bis sieben Kilometer ziehen
sich extrem zäh in die Länge, und das inkonsequente Wetter, das wohl selbst
nicht so recht weiß, was es heute anstellen soll, gibt mir den Rest. Wenigstens
die Landschaft gibt sich alle Mühe, abwechslungsreich zu bleiben, und so lernen
wir nach flachem Backblech und hohem Gebirge verwunschene Hohlwege, grasende
Rinderherden und wilde Brombeersträucher kennen. In Ramil passieren Marcos und
ich dann schnell noch eine tausend Jahre alte Kastanie. In meinem Wanderführer
fehlt eine Null, so dass sie dort lediglich unspektakuläre hundert Jahre jung
ist.
Etwa zehn Minuten später
erreichen Marcos und ich endlich unser heutiges Etappenziel Triacastela, und
zur allgemeinen Freude kann sich die Sonne doch noch durchsetzen. Da wir heute
eher pragmatisch unterwegs sind, entscheiden Marcos und ich uns für die erste
von meinem Wanderführer gut bewertete
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