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Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Titel: Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maori Kunigo
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kräftigen Stimme: Carlos, der hospitalero. Und schnell stellt sich heraus, dass er der geborene Entertainer ist. Er lässt
nicht eine Gelegenheit aus, um einen Spruch loszulassen, und steckt mich
schnell mit seiner guten Laune an. Ich weiß nicht ob er Buddhist ist oder
lediglich Buddha-Fan, jedenfalls ist der fernöstliche Einfluss auf die Herberge
kaum zu übersehen. Mal was anderes, das muss ich schon zugeben.
    Eine weitere gute Nachricht:
Mein Knöchel ist nicht dicker geworden; das lässt hoffen. Kann man seinen
Knöchel schonen, indem man achtundzwanzig Kilometer läuft, darunter elf
Kilometer über einen Berg? » Obviously «, würde Chris sagen. Apropos, die
ist natürlich auch anwesend. Sie verbringt ihren Nachmittag auf besondere Art
und Weise. Erst bucht sie erfolgreich ihren Rückflug nach Deutschland und freut
sich einen Wolf. Dann trinkt sie fast eine ganze Kanne Kaffee aus, weil sie
nichts stehen lassen möchte. Anschließend redet sie im Koffeinrausch ohne Punkt
und Komma komplett wirres Zeug. Schließlich legt sie sich ins Bett und schläft
bis zum Abendessen durch, wohlgemerkt nach einem Koffeinrausch. Die Frau ist
eine Granate. Wer braucht schon Kabelfernsehen? Wir haben Chris!
    Während unsere Kleine ratzt und
Marcos chillt, erkunde ich das Dörfchen. Laut meinem Wanderführer leben vierzig
Menschen in Ruitelán. Von denen fehlt allerdings jede Spur. Seit ich auf dem
Camino bin, besonders seit dem Erlebnis in Villadangos del Páramo, betrete ich
gerne die kleinen Dorfkirchen am Weg. Ohne Schnickschnack, ohne Protz, ohne
Wahn. Einfache, ruhige Rückzugsorte, sogar für Atheisten. Ich sag’ ja:
Religionen haben auch ihre guten Seiten. Die Iglesia de San Juan Bautista ist
winzig und erwartungsgemäß menschenleer. An der Westtür (»Portal« kann man die
nun wirklich nicht nennen) liegt ein Stempel aus, der scheinbar nur sehr selten
benutzt wird. Meinen Pilgerpass trage ich immer bei mir. Der ovale, blaue
Stempel zeigt Johannes den Täufer, San Juan Bautista. Wieso klingen die Namen
auf Spanisch nur so rassig? »San Juan Bautista« hört sich an wie ein
Fußballstar. Aber »Johannes der Täufer« würde nicht einmal auf die Ersatzbank
der zweiten Mannschaft kommen. Ich genieße die Ruhe.
     
    Um halb acht rufen Carlos und
seine Helfer zum Abendessen. Ich wecke Chris, die Verrückte. Gemeinsam mit
seinen Helfern tischt Carlos das viergängige Abendessen auf: Zunächst gibt es
eine unglaublich leckere Suppe, dem folgt ein sensationeller Salat, als
Hauptgericht gibt es Spaghetti Carbonara, und zum Nachtisch dürfen wir uns über
Flan freuen. Carlos ist ein begnadeter, lustiger, vorzüglicher Gastgeber. So
entwickelt sich das gemeinsame abendliche Pilgeressen nicht nur zu einem
kulinarischen, sondern auch zu einem Unterhaltungshighlight. Besonders die
Kombination der Anwesenden begeistert mich. Neben mir sitzt eine notorisch mies
gelaunte Mittfünfzigerin. Ihr missfällt das nagelneue Haus gegenüber der
Herberge, das weder extrovertiert noch ungewöhnlich ist. Es ist einfach nur
neu. Aufgebracht wettert sie: »Es verschandelt die ganze Umgebung. Bei uns in
Deutschland würden die niemals eine Baugenehmigung bekommen.« Als das
Hauptgericht aufgetischt wird, entdeckt sie weitere skandalöse Missstände in
der spanischen Gesellschaft. »Das ist viel zu viel. So viel kann ich nicht
essen.« Wohlgemerkt, die Schüssel stehen alle in der Tischmitte jeder darf
nehmen so viel oder so wenig er möchte. »Ich mag das gar nicht, dass die
Spanier alles nacheinander bringen. Jetzt zum Beispiel hätte ich gern ein
bisserl Salat dazu.« Die Süddeutsche mag es am liebsten so: Alles auf einen
Teller, Soße drüber, fertig. Aber sie ist noch längst nicht fertig: »An was ich
mich überhaupt nicht gewöhnen kann, sind ja die Öffnungszeiten. Mitten in der
Woche, und alles hat zu. Alles.« Hätte man wissen können, finde ich. Im Grunde
führt sie den gesamten Abend über eine beispiellose Selbstdemontage durch.
Alles, was sie verbal absondert, verdeutlicht lediglich eines: Dass sie sich
vor ihrer Abreise null mit dem Gastland beschäftigt hat. Das wirklich Lustige
daran ist allerdings, dass sie immer wieder von mir Zustimmung für ihren
Schrott einfordert. Interessante Strategie. Mir gegenüber sitzt ein Deutscher,
der permanent versucht witzig zu sein. Dank seines flegelhaften Timings ist er
nach wie vor der Einzige, den ich über seine Witze lachen höre.
    Nach und nach spricht sich
herum, dass ich derjenige am

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