Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen
Arbeitern in Bars oder jungen
Menschen auf dem Weg zur Arbeit. Und sie alle grüßen auf unterschiedlichste
Weise: Mal begegnen sie einen mit » ¡Hola!«, »¡Buen camino!« oder »¡Buenos
días!«, mal winken sie, nicken einem lächelnd zu oder heben kurz die Hand.
Aber es gibt eine Art Gruß, die ich beim besten Willen nicht ausstehen kann.
Manch ein Lkw- oder Pkw-Fahrer hält es für besonders motivierend, beim
Vorbeifahren (mit hundertzwanzig Stundenkilometern) einfach mal kräftig auf die
Hupe zu hauen. Man stelle es sich vor: Schwitzend und keuchend schleppt man
sich über den Asphalt, und im nächsten Moment geht neben dir die Tröte los. Das
Gegenteil von gut ist eben gut gemeint.
Schon wieder laufe ich
mutterseelenallein. Der ganze Beton um mich herum macht mich aggressiv, aber
mit kaputtem Knöchel kann ich nicht einmal vor Wut stampfen. Was nebenbei
bemerkt ziemlich albern aussähe. Wenigstens ist der Wanderweg durch eine
hüfthohe Betonmauer von der Fahrbahn abgetrennt, was — soweit ich richtig
informiert bin — früher nicht der Fall war.
Allerdings haben sich die
Planer des Camino für die letzten Meter an N-VI etwas ganz Bezauberndes
ausgedacht. Erst verschwindet die schützende Mauer, so dass man wie früher auf
dem ungesicherten Seitenstreifen laufen muss, anschließend überquert man die
Ausfahrt zu einem Rastplatz. Für einige Meter läuft man mitten auf der Straße,
während rechts und links die Lkws vorbeidonnern. Ich denke, in Zukunft werde
ich eine sechsspurige Straße im Hamburger Berufsverkehr relativ entspannt
überqueren können.
Kurze Zeit später verlässt der
Camino die N-VI und biegt in das Straßendorf La Pórtela de Valcarce ein. Das
winzige Nest besteht aus nicht einmal zwanzig Häusern und wirkt wie eine alte
Westernsiedlung. Auf einer stämmigen Sitzbank lege ich eine kurze
Verschnaufpause ein. Noch einmal geht es für wenige Meter an der N-VI entlang,
bevor ich sie endgültig verlassen darf. Schlagartig bessert sich die Stimmung,
denn nun führt der Weg entlang des Río Valcarce und ist von Bäumen gesäumt. Das
idyllische Plätschern beruhigt die Gedanken, und ich habe das Gefühl, irgendwo
im Harz unterwegs zu sein. Etwa vierzig Minuten später, kurz hinter Vega de
Valcarce, entdecke ich auf einer Anhöhe links vom Camino eine verfallene Burg.
In meinem Wanderführer steht leider überhaupt nichts darüber. Später erfahre
ich, dass es sich um die Ruinen des Castillo de Sarracín des Templerordens
handelt.
Durch das anstrengende Wandern
auf Asphalt lässt mein gerade gewonnener Energieschub rapide nach. Obwohl nur
noch wenige Kilometer zu laufen sind, ziehen sich diese wie zäher Kaugummi in
die Länge. Ab und an rasen vereinzelte Autos mit irrer Geschwindigkeit an mir vorbei.
Völlig bescheuert. Wenn sie gegen einen Baum klatschen, ist das ihre Sache.
Wenn sie allerdings mich wegklatschen, werden sie es mit meiner Mutter zu tun
bekommen. Prophylaktisch wünsche ich denen schon mal viel Spaß. Apropos Raser,
hoch oben über mir schlägt die Autobahn riesige Betonbrücken von Berg zu Berg
und verschandelt die Landschaft. Wahrscheinlich ist es für die Dorfbewohner
hier unten trotzdem besser, dass die ganzen Lkws nicht an ihren Häusern
vorbeibrausen. Wesentlich nerviger als die Autobahn finde ich diese Bauschilder
mit der Aufschrift »Plan E«, die den Bewohnern der Dörfer fernab der Hauptstadt
einen Aufschwung suggerieren sollen. Lächerlich!
Auf den Plan-E-Baustellen habe
ich bisher kein Schwein arbeiten sehen, und die angekündigten Baufristen sind
teils um Jahre überschritten. Kein Wunder, dass die Leute hier das Vertrauen in
die Regierung verlieren. Dann lieber überhaupt kein Schild. Leider liegt der
Höhepunkt des Tages mit dem camino duro bereits hinter mir. Jetzt muss
ich mich also doch noch einmal quälen, schließlich sind achtundzwanzig
Kilometer am Ende des Tages dann doch achtundzwanzig Kilometer. Klingt
einleuchtend, aber heute Morgen dachte ich noch, achtundzwanzig Kilometer sind
ja ungefähr zwanzig Kilometer. Es sind fast dreißig Kilometer, lieber Kopf.
Danke.
Kurz vor Ruitelán wartet wieder
einmal Marcos auf mich. Langsam kriege ich ein schlechtes Gewissen. Dabei
braucht der doch keine Rücksicht auf mich zu nehmen. Aber er tut es, einfach
so, der Mann hat eben Charakter. Gemeinsam wandern wir nach Ruitelán zur auf
dem ersten Blick trostlos wirkenden Herberge. Kaum betreten wir sie, empfängt
uns auch schon ein netter Herr mit einer rauen,
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