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Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Titel: Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maori Kunigo
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Herberge im Ort: die moderne albergue »Complexo Xacobeo« mit exzellenter Ausstattung, sauberen Zimmern und viel, viel
Platz. Da Chris den gleichen Wanderführer nutzt wie ich, vertraue ich darauf,
dass sie identisch vorgeht und uns findet. Tut sie aber nicht. Stattdessen
klappert sie alle örtlichen Herbergen nach uns ab. Leider durchkämmen Marcos
und ich aber währenddessen den Supermarkt nach unserem Abendessen. Marcos
verspürt Appetit auf Joghurt, Und da ihm vier Becher definitiv zu viel sind,
bricht er das Familienpaket in der Mitte durch. Während er an der Obsttheke
wartet wirft eine angesäuerte Angestellte des Supermarktes die von Marcos
zurückgelassenen zwei Becher in unseren Einkaufskorb; offensichtlich gibt es
das Produkt nur im Viererpack. Ich stehe neben dem Korb und tue so, als würde
er im Leben nicht mir gehören Ich mag ja auch gar keinen Joghurt, ich würde
nicht einmal einen Becher nehmen. Marcos kehrt zurück, sieht die vier
Becher im Korb und sagt zu mir: »Den Joghurt gibt’s wohl nur im Viererpack Das
ist zu viel.« Schnurstracks bringt er die vier Becher zurück ins Regal. Später,
als wir an der Kasse stehen, hantiert ausgerechnet unsere Kassiererin fluchend
mit eben diesen Bechern und einer Rolle Klebeband herum. Wir können uns das
Lachen gerade noch so verkneifen.
    Als wir in die Herberge
zurückkehren, hat sich Chris schon für eine andere Unterkunft entschieden.
Glücklicherweise läuft sie eine zweite Runde durch Triacastela, und diesmal
findet sie uns im Aufenthaltsraum des »Complexo Xacobeo« vor. Gemeinsam lungern
wir herum, essen bocadillos und trinken Bier. Hinter mir erkenne ich
einen jungen Herrn mit stoppelkurzem Haar und schlanker Statur wieder, dem ich
schon häufiger begegnet bin, zuletzt in León. Jedes Mal, wenn wir uns auf der
Strecke oder in Herbergen sehen, grüßen wir uns freundlich. Nun höre ich ihn
zum ersten Mal Deutsch reden und stelle fest, dass er Österreicher ist. Ich
spreche den ungefähr dreißigjährigen Philipp und seinen deutschen Mitpilger
Achim an. Wir wechseln nur wenige Worte, aber jetzt weiß er, dass ich ebenfalls
Deutsch spreche. Vielleicht ergibt sich ja irgendwann eine Gelegenheit zum
Plausch, denn auf mich macht er einen sympathischen Eindruck. Weniger
sympathisch finde ich einmal mehr das Beleuchtungssystem im sanitären Bereich.
Wie in der Herberge von Burgos ist auch hier ein Bewegungsmelder im Einsatz.
Leider beschränkt sich dessen Reichweite auf den Bereich vor den Waschbecken.
Ergo kann man in den Kabinen mit den Armen fuchteln wie man will, das Licht
bleibt ans und der Schüsselmoment dunkel.
    Später überlege ich: Woran
erkennt man Pilger aus dem deutschsprachigen Raum? Erstens natürlich am
Wanderführer. Meistens sitzen deutschsprachige Pilger irgendwo herum und
blättern im Rother von Cordula Rabe oder im Outdoor von Raimund Joos. Zweitens
am Rei in der Tube. Der Klassiker unter deutschsprachigen Pilgern. Und drittens
bilden sie deutschsprachige Gruppen, um genau wie zu Hause Nonsens auf Deutsch
zu reden. Ein Pauschalurteil, ich weiß. Aber ich persönlich bevorzuge es, mit
Menschen aus aller Welt zusammenzuhocken und über völlig andere Dinge zu reden
als zu Hause. Hocke ich ausschließlich mit Deutschen zusammen, verfalle ich
doch schnell wieder in gewohnte Verhaltensmuster. Wenn ich dagegen auf Englisch
reden muss, überlege ich mir vorher wesentlich genauer, was ich wirklich sagen
möchte. Erst denken, dann reden. Manchmal gar nicht so dumm. Aber die Zeiten
der überwiegend tief gläubigen Jakobspilger sind definitiv vorbei. Wenn ich
mich so umsehe und — höre, gleicht das Ganze doch eher einem Massenevent.
Leistungen werden verglichen, der Spaßfaktor analysiert, die Herbergen in
Rankings eingeordnet und am Abend gesoffen wie blöd. Ja, schönen Urlaub noch.
Natürlich ertappe ich mich selbst bei dem einen oder anderen unwürdigen
Verhalten, beispielsweise wenn ich über schlechte Wanderwege fluche.
Schließlich muss ich mir das alles ja nicht antun, ich tue es doch freiwillig.
Aber zumindest nutze ich die großzügigen Möglichkeiten, über zahlreiche Dinge
intensiver nachzudenken als ich es je für möglich gehalten hätte. Und anders
als viele meiner Mit-Pilger komme ich immer wieder zu dem Schluss, dass mein
Leben im Großen und Ganzen fantastisch verläuft. Dabei dachte ich vorher, es
sei alles Quatsch, ich müsse mein Leben ändern, meinen Job hinschmeißen und
Künstler werden. Aber erstens will ich nicht nach

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