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Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Titel: Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maori Kunigo
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träufeln. Je länger ich unterwegs bin, desto größer wird meine Gier
auf Süßes; dabei hasse ich eigentlich jeglichen Süßkram.
    So langsam wird mir ganz schön
kalt, und bis zum Abendessen müssen wir mindestens noch eine ganze Stunde
warten. Nur mit Mühe kann ich mich aufraffen, zur Herberge hochzulaufen und den
Fleecepulli zu holen. Wir sitzen und schreiben, reden nicht besonders viel.
Obwohl ich heute völlig problemlos durchgekommen bin, war die Etappe
letztendlich doch ganz schön anstrengend. Inzwischen legen wir beinahe täglich
unsere Dreißiger-Etappen hin. Mit dem Lauftempo ändern sich auch die Pilger,
denen man allabendlich begegnet. So sehen wir um uns herum meistens nur noch
Hardcore-Sportler und drahtige Wanderwunder wie Evelyn wieder. Keine Ahnung,
was die alle denken, wenn wir Würstchen mal wieder hinter irgendeiner Ecke
auftauchen.
    An der Theke sitzen einige
Einheimische, trinken Bier oder Wein und tauschen sich aus. Offensichtlich
handelt es sich bei diesem Restaurant, in dem wir uns befinden, um das
komplette Gastronomieangebot von Ferreiros. Auf Nachfrage teilt uns die Wirtin
mit, dass es ab zwanzig Uhr ein gemeinsames Pilgeressen geben werde. Zehn Euro
pro Gaumen soll der gezähmte Magen kosten. Wir sind dabei, schließlich gibt es
weit und breit keine Alternative. Insgesamt fünfzehn Pilger finden sich ein,
und schon werden nach und nach die Gänge aufgetischt. Toll. Für einen, der an
einem solchen Abend enorme Mengen Nahrungsmittel verwerten kann, ist das
Büffetprinzip ideal. Alles in die Mitte, und dann nimmt sich jeder so viel er
verträgt. Wenn ich mich spontan meinen beiden Nachbarinnen vergleiche, sponsern
die mein Essen eindeutig mit. Mir gegenüber sitzt laut Selbstauskunft der
Vereinsvorsitzende der Herbergenbetreiber des Camino del Norte, ein lauter,
aufdringlicher, stilloser, unhöflicher Mann, der sich betrinkt und mit
hochrotem Kopf in Rekordzeit alle Sympathien verspielt. Kokett trägt er ein
Kreuz auf der Brust, aber ein gewaltiges, mich anwiderndes Ego dahinter.
Marcos, der direkt neben ihm sitzt, wirkt schwer genervt. Nach nur wenigen
Minuten wird der Mann von allen Anwesenden ignoriert, sogar von seiner eigenen
Tochter, die rechts neben mir sitzt. Nur Chris und ich beobachten ihn
fasziniert — glücklich, kein Wort von dem zu verstehen, was er da erzählt. Kaum
dass er sein überlautes Telefonat während des Essens am Esstisch zu Ende
geführt hat, langt er mit seiner Gabel in die Salatplatte, die zwischen uns auf
dem Tisch steht. Und nochmal. Und nochmal. Hui. Ich meine, ich bin nicht
besonders zimperlich, aber von einem zivilisierten Menschen erwarte ich
Manieren. Und ein kleiner Rülpser, kein Problem, hat ja niemand gehört. Oh,
doch, Chris und ich haben ihn gehört. Und Marcos ganz offensichtlich auch. Als
das Fleisch kommt, ramme ich vor ihm die Gabel (natürlich die auf der Platte,
nicht meine) in mehrere Scheiben. Der soll aufhören, unser Essen zu kontaminieren.
Oh, er kann kauend reden. Toll. Señor, ich möchte das nicht sehen. Genau
das. Ich bringe eine weitere Scheibe Fleisch in Sicherheit, denn gleich regnet
es aus nördlicher Richtung. Kaum ist der Hauptgang verputzt, kommt die Wirtin
und bietet jedem Gast vier Nachtischoptionen an. Wow. Aber bevor das Dessert
serviert wird, zünden sich plötzlich mehrere Leute direkt am Tisch einfach eine
Fluppe an. Das ist hart. Ich meine, die wollen gleich noch Flan oder Eis oder
Kuchen essen und rauchen erst einmal eine. Bäh. Auch Chris findet das ziemlich
widerlich und kann es kaum glauben. Als ob das alles nicht schlimm genug wäre,
wird auch noch der Fernseher angeschmissen und Fußball geguckt. Jetzt sitzen
wir hier in Ferreiros mit fünfzehn Menschen bei einem Pilgermahl, und die
Pappnasen rauchen vor dem Nachtisch und gucken Fußball. Ehrlich gesagt bin ich
weder schockiert noch angewidert, eher völlig perplex. Leute, ihr seid einen
lächerlichen Fingerbreit vom Leben entfernt und doch unendlich weit weg.
    Zurück in der Herberge. Es ist
spät, ich sitze mit einer attraktiven Dame im Aufenthaltsraum. Wir sind zu
zweit. Sie ist die Kanadierin, Bett Nummer zweiundzwanzig, und geht pennen. Ist
eben die Realität, was will man machen? Mein Magen meldet sich, und ich muss auf
die Keramikinsel. Ich blicke in den stockdunklen Schlafsaal. Einundzwanzig
Pilger liegen bereits in ihren Betten. Am Ende des Raumes sehe ich das
Toilettenlicht durch die Lüftungsschlitze leuchten. Ist eben die Realität, was
will man

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