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Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Titel: Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maori Kunigo
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neben dem
Hunderter. Die beiden Jungs gehören zur absoluten Ausnahme. Obwohl ich die
ganze Zeit mit meinem Schalke-Trikot wandere, werde ich von deutschsprachigen
Mitpilgern fast ausschließlich auf Spanisch oder Englisch angesprochen.
Wahrscheinlich sehen die das Trikot gar nicht, sondern nur meine japanische
Visage. Marcos dagegen wird grundsätzlich auf Englisch oder Deutsch
angesprochen. Aber was beschweren wir uns? Andere werden überhaupt nicht
angesprochen.
    Etwa zwanzig Minuten später
erreiche ich unser heutiges Etappenziel Ferreiros. Mein Wanderführer behauptet
allen Ernstes, dass in Ferreiros zweihundertvierzig Menschen wohnen. Hallo? Ich
sehe eins, zwei, drei Häuser. Wenn in jedem dieser drei Häuser achtzig Menschen
wohnen, fresse ich jeden galicischen Besen, den man mir vorsetzt. Eines der
Häuser stellt sich auch noch als Herberge heraus; statistisch gesehen wird es
also in den anderen beiden Hütten gerade immer enger. Von außen wirkt die albergue noch recht jung. Ehrlich gesagt habe ich sie mir schlimmer vorgestellt,
denn in meinem Wanderführer bekommt sie lediglich anderthalb von drei Muscheln.
Zum Vergleich: Der Horrorsaal von León wurde mit zwei Muscheln bewertet. Ach,
scheiß auf Bewertungen. Gemütlichkeit, Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft,
Charme kann man nicht wirklich bewerten. Die kleine albergue von
Ferreiros ist sauber, die hospitalera , eine ältere galicische señora ,
überaus freundlich, es gibt eine nicht besonders gut ausgestattete Küche (aber
dazu passend weit und breit keinen Supermarkt) und einen netten
Aufenthaltsraum. Das reicht dann auch. Nur leider ist die Tür zum Bad von
Lüftungsschlitzen durchzogen. Ergo hört der ganze Schlafsaal mit, wenn jemand
auf dem Lokus sitzt. Von zweiundzwanzig Betten bekomme ich Nummer neunzehn
zugeteilt. Marcos, der einige Minuten nach mir eintrifft, Nummer zwanzig. Als
er die hospitalera um eine Bettreservierung für Chris bittet, erfahren
wir, dass die albergue nach dem Prinzip »wer zuerst kommt, pennt zuerst«
verfährt. Absolut verständlich und fair, keine Frage, trotzdem ärgerlich.
Tatenlos müssen wir zusehen, wie ein kanadisches Pärchen die letzten freien
Plätze belegt. Zum ersten Mal erleben wir eine volle Herberge. Glücklicherweise
muss Chris nicht neun Extrakilometer nach Portomarín laufen. Die freundliche hospitalera erklärt, dass unsere Gefährtin im Restaurant weiter unten im Dorf schlafen
könne. Ach, es gibt ein Dorf? Schon leeren sich die beiden Häuser nebenan.
Wurde auch langsam stickig.
    Chris schlurft also weiter
Richtung Notunterkunft, während Marcos und ich uns frisch machen und unsere
Notizen ergänzen. Nebenbei breitet Marcos seinen Pilgerpass zum Trocknen aus;
der Regen hat ihn heute Morgen unter Wasser gesetzt. Etwa anderthalb Stunden
später beschließen wir, nach Chris zu sehen. Das Dorf »weiter unten« ist
wirklich weit unten, nämlich etwa dreihundert Meter steil bergab die Straße
hinunter; ich freue mich jetzt schon auf den Rückweg. Wo sich die
zweihundertvierzig Einwohner verstecken, weiß ich allerdings immer noch nicht.
Hier unten stehen auch nur drei Häuser und eine Kirche. Unsere Quotenfrau ist
in einem Matratzenlager hinterm Restaurant untergekommen. Als wir eintreten,
wird sie gerade von einer cholerischen Angestellten angemault, sie solle doch
ihre Sachen nicht ausbreiten. Und gegessen werde schon mal gar nicht. Ach
herrje, was soll das denn? Die soll sich bloß von unserem Pilgerküken
fernhalten, sonst setzt es was!
    Um ein wenig auszuspannen,
begeben wir uns ins Restaurant und besudeln erst einmal den Boden mit unseren
schlammigen Wanderschuhen. Nachdem wir uns mit Getränken versorgt haben, setzen
wir uns an einen Tisch und packen unsere Tagebücher und Wanderführer aus.
Plötzlich taucht die cholerische Frau neben uns auf, schwingt den Schrubber und
flucht wie ein Rohrspatz. Scheinbar reicht es Marcos nun endgültig. Als hätte
jemand einen Schalter umgelegt, wirft er den Charme-Turbo an und wickelt die
werte Dame um den kleinen Finger. Als sie auch noch anfängt wie ein Teenager zu
kichern, bekommen Chris und ich es mit der Angst tun. Nachdem der Boden wieder
glänzt, verschwindet die Dame gut gelaunt aus dem Lokal. Chris kann nur den
Kopf schütteln, ich kann mir das Grinsen nicht verkneifen. Ich lehne mich
zurück und nuckel an meinem Cola Cao, die spanische Antwort auf Nesquik. Brutal
süß, aber auf dem Camino könnte ich Ahornsirup mit Zuckerglasur direkt auf
meine Zunge

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