Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen
Cruz) kommt noch. Oder?«
»Nein, das war schon vor der
großen Straße vorhin, erinnerst du dich?« Ich packe meinen Wanderführer aus und
zeige ihr die Stelle. Da es der gleiche Wanderführer ist, ergibt die Aktion
keinen Sinn. Sieht aber nach Kompetenz aus. »Hier, das war die Stelle, und hier
sind wir drüber.«
Chris: »Ach, cool. Wir sind
schon dran vorbei!«
Wir sind weiter als gedacht.
Normalerweise erleben wir eher das Gegenteil. Zumindest das heitert Chris
sichtlich auf. Sind ja auch nur noch schlappe dreizehn Kilometer bis nach Palas
de Rei, unserem heutigen Etappenziel.
Die heutige Etappe zieht sich
in die Länge, wirklich Freude bringt sie mir nicht. Mal regnet es leicht, mal
stärker, dann hört es urplötzlich auf, dann nieselt es wieder ein wenig, wenige
Minuten später hört es wieder auf, und so geht es stundenlang. Als wir um kurz
vor fünfzehn Uhr das Straßendorf Ligonde passieren, hauen uns die Dorfbewohner
eine Kanonensalve um die Ohren. Mein Herz. Hunderte Menschen haben sich
eingefunden, um eine hemmungslose fiesta zu feiern, und was gehört zu
einem fröhlichen, familienfreundlichen Fest? Natürlich eine fette, saumäßig
laute Kanone, mit der man die vorbeilaufenden Pilger ins Koma ballern kann.
Langsam wird mir das zu viel hier, wie viele dieser immer gleich aussehenden
Dörfer kommen denn noch?
Einen Kilometer vor Palas de
Rei steht eine neue Großherberge mitten im Grün. Immerhin sind wir jetzt fast
da, so dass uns dercharakterlose Baukomplex noch einmal ein wenig
motiviert. Wenige Minuten später laufen wir endlich in Palas de Rei ein. Der
Stadtname pendelt irgendwo zwischen Größenwahn und Realsatire. Statt eines
gülden dahinschimmernden Königspalastes empfängt uns ein in Beton gegossenes
Stück Elend, mit rein gar nichts von Interesse. Wenn ich hier wohnen würde, ich
würde morgen abhauen. Glücklicherweise wohne ich nicht hier, trotzdem werde ich
morgen abhauen. Erwartungsgemäß sind sämtliche Herbergen dicht bis unters Dach.
Ehrlich gesagt ist mir das gar nicht so unrecht, denn heute möchte ich in einer
Pension übernachten; mir hängen diese Sarria-Pilger so was von zum Hals raus.
Wenn ich mir auch noch vorstelle, einem der Gummihörner über den Weg zu laufen
— nein, das wäre keine gute Idee. Also klappern Chris, Marcos und ich nach und
nach die Topadressen von Palas de Rei ab. Bei der dritten haben wir Glück: uns
wird ein Drei-Bett-Zimmer für schlappe fünfundvierzig Euro angeboten. Ohne
Zögern nehmen wir das Angebot an, und wir werden nicht enttäuscht: drei Betten,
ein Bad, alles sauber, mehr brauchen wir nicht. Handtücher und Schlafsäcke
können sich heute auch mal eine Auszeit gönnen. Nachdem wir ewig lang duschen,
statten wir dem örtlichen Supermarkt einen Besuch ab. Während Chris und Marcos
ihr Abendessen zusammensuchen, beschließe ich, in der unserer Pension
zugehörigen Bar zu essen. Das hält mich jedoch nicht davon ab, mir im supermercado noch jede Menge Gebäck und eine Tafel Schokolade einzupacken. Als wir besagte
Bar betreten, erklärt man mir, die Küche sei leider noch zu. Nach zwei Minuten
Bedenkzeit allerdings wittern die beiden Männer hinter der Theke so etwas wie
eine finanziell lukrative Transaktion und bieten mir einen Burger an. Auf die
Frage, was ich denn gern draufgepackt hätte, antworte ich trocken: »Alles.« Das
lassen sich die beiden nicht zweimal sagen. Zwischen zwei völlig überforderte
Brothälften stapeln sie zwei Lagen Fleisch, Salat, Tomaten, Ei, Speck,
Zwiebeln, Gurke, Käse, Ketchup und Senf. Zum Niederknien. Nach der herben
Enttäuschung in Cacabelos gewinne ich gleich zwei Erkenntnisse auf einmal.
Erstens: Ja, die Spanier können auch Burger bauen. Zweitens: Ja, die Spanier
kennen auch andere Gewürze neben Dosen Thunfisch. Marcos sitzt sabbernd neben mir
und will auch so eine hamburguesa completa. Tja, bleib du mal bei deinem
(randlosen!) Toastbrot.
Abends sitzen wir in unserem
beschaulichen Zimmer, essen (Chris und Marcos randlosen Toast, ich Schoko),
trinken Bier und reden. Draußen regnet es bereits seit Stunden, und als ob
Wasser ansteckend wäre, unsere gewaschenen Klamotten wollen einfach nicht
trocknen. An diesem Abend reden Chris, Marcos und ich intensiver und
persönlicher als je zuvor. Dabei stelle ich mit Dankbarkeit fest, dass drei
völlig unterschiedliche Charaktere eine nahezu perfekte Einheit bilden können,
weit über das Niveau einer reinen Zweckgemeinschaft hinaus. Jeder von uns
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