Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen
Taxiunternehmen auf. Und die scheinen ihre
Wirkung nicht zu verfehlen: Sobald wir an einer Landstraße entlanglaufen,
brausen Taxipilger an uns vorbei. Je häufiger das passiert, desto lächerlicher
kommen sie mir vor. Der Sinn einer Pilgerschaft ist das Pilgern. Ohne das
Pilgern bleibt nicht einmal eine Wanderung, sondern lediglich ein nutzloser,
zeitraubender Ausflug. Wenn jemand für eine Busfahrt eine Belohnung möchte,
kann er ja für einen Zwanni auf den Prickings-Hof fahren und sich den größten
Zuchtbullen der Welt angucken. Aber sich per Taxi von Herberge zu Herberge
fahren zu lassen, um Stempel für eine Urkunde zu sammeln, ist an Idiotie kaum
zu übertreffen.
Ganz nüchtern betrachtet, also
ohne Regen und Fußschmerzen, ist Galicien wunderschön. Sagenhaft breite, über
Jahrhunderte entstandene Hohlwege, dichtbewachsene Wälder, wuchtige Ruinen am
Wegesrand, von Ranken und Moos überwuchert, alles hier sieht ein wenig
keltisch, mystisch, verzaubert aus. In einem Weiler überholen wir vier
Daypack-Pilger, wobei diese meiner Meinung nach das Gepäck nicht besonders fair
verteilt haben. Frau Nummer eins trägt einen winzigen Daypack-Rucksack. Mann
Nummer eins trägt einen großen Rucksack. Frau Nummer zwei trägt eine kaum
gefüllte Leinentasche. Mann Nummer zwei ist kurz davor, unter dem riesigen
Klumpen auf seinem Rücken zusammenzubrechen. Kurz darauf überholen wir eine
Pilgerin mit einem fliederfarbenen, vollgepackten Rucksack, in dem zwei
Regenschirme stecken. Sehr merkwürdig.
Als wir um kurz nach zehn Uhr
unsere heutige Café-con-Leche Town Leboreiro erreichen, trifft uns der Schlag:
Vor der bekannten Bar »Die zwei Deutschen« hockt eine lärmende Pilgerhorde,
rund zwei Drittel von ihnen mit winzigen Daypack-Rucksäcken unterwegs. Marcos
und ich flüchten in die spanische Bar etwa zwanzig Meter weiter, platzieren für
die leicht zurückgefallene Chris unsere Rucksäcke gut sichtbar Richtung Straße
und gönnen uns jeweils einen café con leche grande. Nach einigen Minuten
erreicht dann auch Chris die Bar und bestellt sich — wie fast immer — einen café
americano (Espresso versetzt mit etwas heißem Wasser). Was mir auffallt:
Wir werden extrem freundlich behandelt. Dass um uns herum kaum Sarria-Pilger
wuseln, tut unserer Stimmung natürlich doppelt gut.
Als wir in San Martin del
Camino übernachteten, beschrieb ich die Schlacht zwischen Pepsi und Coke auf
dem Camino. Vor der Bar von Leboreiro steht ein weiteres Highlight dieses
epischen Kampfes: ein Coke-Automat im Camino-Look. Die berühmte weiße
Coke-Welle symbolisiert den Camino, und an ihr reihen sich einige bekannte Orte
am Jakobsweg: Villafranca del Bierzo, O Cebreiro, Samos, Sarria, Portomarin,
Palas de Rei, Melide und Santiago. Wohlgemerkt, das alles in Coca-Cola-Look auf
einem Getränkeautomaten. Nicht von irgendeinem Fan produziert, sondern genau so
offiziell von Coca-Cola España herausgegeben und als Marketing-Instrument
eingesetzt. Blöderweise haben sie alle Orte spiegelverkehrt angeordnet, also
Santiago nach ganz rechts.
Kurz vor Melide, dem laut
Wanderführer geografischen Zentrum Galiciens etwa fünfeinhalb Kilometer hinter
Leboreiro und auf halber Etappenstrecke, beginnt mein rechtes Schienbein zu
schmerzen. Meldet es sich also auch mal wieder. Kein Wunder, besteht der Weg
seit hundert Kilometern fast ausschließlich aus Aufs und Abs. In Melide trifft
der Camino Primitivo auf den Camino Francés; mit denen, die vom Camino del
Norte über den Primitivo nach Santiago laufen, könnte es wieder ein Stückchen
voller werden. Gut, dass wir reserviert haben. Bekannt ist die Stadt für ihre pulperías und den pulpo á feira; Letzteres ist gekochter Krake nach galicischer
Art. Leider verspüre ich gerade überhaupt keinen Appetit, so dass ich mich mit
O-Saft aus einem Gemischtwarenladen zufriedengebe.
Mitten in dem
Achttausend-Einwohner-Ort spricht uns ein älterer, stark schielender Mann an.
Er fragt uns, ob wir Pilger seien. Besonders gut sieht er also nicht mehr,
anhand unserer Outdoor-Lumpen sind wir eigentlich ziemlich einfach zu
identifizieren. Er trägt eine Baseballkappe, ein weißes T-Shirt und darüber
eine schwarze Weste. In der linken Hand hält er eine Plastiktüte, die rechte
packt Marcos am Arm. Alles klar, es gibt kein Entkommen. Nachdem er sich
unseres Ziels vergewissert hat, beginnt er doch glatt, uns in aller
Ausführlichkeit seine Lebensgeschichte zu erzählen. Wie schwierig es für seine
Mutter gewesen sei,
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