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Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen

Titel: Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maori Kunigo
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herauszunehmen. Schließlich fragt Chris:
»Wisst ihr schon, was ihr essen wollt?«
    Marcos und ich schütteln die
Köpfe.
    »Was wollen wir denn kochen?«,
hakt sie nach.
    Marcos antwortet: »Eigentlich
will ich gar nicht kochen.«
    »Ich hab’ auch überhaupt keinen
Bock heute zu kochen«, pflichte ich ihm bei. »Ich bin dafür, dass wir uns
irgendwo reinsetzen.«
    »Klingt gut«, stimmt Marcos zu.
    »Was machen wir dann hier im
Supermarkt?«, will Chris völlig zu Recht wissen.
    Letztendlich landen wir in
einer kleinen Bar in einer selbstverständlich urhässlichen Seitengasse. Was wir
dort erleben ist allerdings alles andere als hässlich. Zunächst einmal befinden
sich insgesamt nur fünf Gäste im Lokal. Dann wird uns ein sensationelles Mahl
serviert. Für die Vorspeise, espárrago con jamón (deutsch Spargel mit
Schinken), würde ich vielleicht doch noch einmal einen Fuß in die Stadt setzen.
Nebenbei erzählt die Kellnerin Marcos ihre Lebensgeschichte: wie sie lange Zeit
in Deutschland lebte, dort einen Spanier kennen und lieben lernte, er jedoch
bald an Krebs starb, sie in die USA zog und schließlich nach Galicien
zurückkehrte. Offensichtlich tragen unzählige Menschen den Wunsch in sich, ihre
ganz persönlichen Geschichten loszuwerden Für einen kurzen Moment vertrauen sie
jemandem, und ihnen wird Vertrauen geschenkt. Da Chris, Marcos und ich schon
eine völlig andere Stimmung nach außen tragen als die ganzen turistas ,
Touristen, ziehen wir die Suchenden förmlich an. Auf alle Fälle bringen mich
die heutigen Begegnungen zum Nachdenken.
    Spätabends sitzen Marcos und
ich noch in einer Bar und schlürfen chocolate caliente, heiße
Schokolade. Eigentlich wollten wir uns gerade bettfertig machen, als ich Marcos
überredete, noch einmal rauszugehen. Nun hocken wir in dieser ziemlich hell
erleuchteten Bar, draußen ist es stockdunkel, und ergänzen unsere Notizen.
Außer uns haben sich noch zwei weitere Pilger und ein Einheimischer hierher
verirrt. Obwohl es hier nicht besonders gemütlich ist, genieße ich den Abend.
Nicht, weil ich mit Marcos heiße Schokolade schlürfen kann, und auch nicht,
weil es hier so ruhig ist. Sondern weil ich etwas tue, was ich möchte, ohne Für
und Wider abgewogen und eine Million Argumente gesammelt zu haben. Ja, auch
heiße Schokolade kann sich verdammt impulsiv anfühlen.
    Morgen ist der allerletzte
»richtige« Wandertag, ein strammer Dreißiger. Unser Plan lautet, fünf Kilometer
vor Santiago de Compostela in Monte do Gozo zu übernachten und übermorgen bei
Sonnenaufgang feierlich auf den Kathedralplatz zu marschieren. In Bars, Cafés ,
panaderías, Herbergen und Restaurants hängen Karten des Camino Francés. Und
immer häufiger ertappe ich mich dabei, wie ich ungläubig die bisher
zurückgelegte Strecke betrachte. Fast sechshundert Kilometer habe ich hinter mir,
am Sonntag werde ich in einundzwanzig Herbergen und einer Pension geschlafen
haben, zweiundzwanzig Tage hintereinander gewandert sein, unzählige Zweifel
beseitigt haben. Wie oft werde ich an diese Reise denken? An die ersten Minuten
in Logroño, an die fuckin’ Roman paths , an Tomás und seine Helfer in
Manjarín, an Simon den Denker? Laut dem inzwischen arg zerfledderten
Wanderführer sind es nur noch schlappe vierzig Komma zwei Kilometer bis zur
Kathedrale von Santiago de Compostela. Ein Katzensprung.
     
    Etappe 20: Palas de Rei — Arzúa
(29,1 km)

Samstag, 19.
September 2009
     
    Ich hätte niemals gedacht, dass
ausgerechnet der letzte Wandertag der schrecklichste meines gesamten Camino
wird. Dabei verläuft zunächst alles nach Plan. Wir starten um sieben Uhr, wie gewohnt
ohne Frühstück. Es ist ziemlich kalt, aber es regnet nicht, immerhin. Nach
wenigen Minuten geraten wir zwischen einige Sarria-Pilger; eine junge Frau
telefoniert mit ihrem Handy, das nervt. So klar und deutlich sich die
Sonnenaufgänge in Kastilien und León abgezeichnet haben, so schwammig und
unmotiviert präsentieren sie sich in Galicien. Irgendwann wird es ein wenig
hell, das war’s aber auch schon. Optisch machen die in geheimnisvolle
Nebelschwaden getauchten Eukalyptuswälder einiges her. Dort hindurchzulaufen
allerdings schlägt auf Dauer auf die Laune. Der Mensch braucht Sonnenlicht.
    Am Ortseingang von O Outeiro
legen wir eine kurze Rast ein. Ich bestelle mir den ersten café con leche des Tages und drücke den Stempel, der dort herumliegt, in meinen Pilgerpass.
Hinter der Theke arbeiten zwei ziemlich attraktive

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