Vom Schisser zum Glückspilz in sechsundzwanzig Tagen
Santiago de Compostela« heißt.
Eigentlich müsste er jede Minute auftauchen, aber er tut es einfach nicht.
Stattdessen nur riesige Pfützen, schlammige Wege und eine graue Pampe von
Himmel. Wenn ich nicht so fertig wäre, ich könnte einfach mal komplett
ausrasten. Der heutige Tag kotzt mich richtig an, dass mich alles an ihm maßlos
aufregt. Es soll ja Leute geben, die die letzten zwanzig Kilometer singend
zurücklegen. Mir ist zwar nicht nach singen zumute, ein paar Lieder würden mir
aber schon einfallen. Da Chris, Marcos und ich heute wieder völlig
unterschiedliche Geschwindigkeiten bevorzugen, entstehen auch keine
aufmunternden Gespräche, die ich gerade so dringend nötig hätte. Permanent
blicke ich in meinen Wanderführer, der mir inzwischen einen völligen Unsinn
erzählt, dass ich ihn am liebsten verbrennen würde. Entgegen der
Wegbeschreibung wird der Flughafen in der Realität wesentlich weiträumiger
umlaufen; kein Wunder, dass er nicht urplötzlich vor mir auftaucht. Wieso muss
gerade der letzte Wandertag so entsetzlich werden? Mir kommen all die
Pilgerberichte in den Internetforen in den Sinn. Wie ehemalige Pilger von den
letzten Kilometern schwärmen, von der Magie des Einmarschierens nach Santiago
de Compostela. Nichts. Es scheint so, als würde mein Camino sang- und klanglos
zu Ende gehen. Vielleicht liegt es daran, dass ich nicht an Gott oder andere
übernatürliche Mysterien glaube und mir deshalb nichts dergleichen einbilde.
Als Rationalist fehlt mir womöglich der Nährboden für Wunder. Nüchtern
betrachtet gibt es daran nichts auszusetzen, nur ist es nicht gerade wahnsinnig
unterhaltsam.
Um vierzehn Uhr haben wir den
Flughafen endlich umrundet. Über eine widerspenstig harte Straße gelangen wir
nach A Lavacolla und passieren ein völlig überfülltes Lokal. Im Nachhinein
denke ich, dass ich trotzdem hätte rasten sollen. Stattdessen ignoriere ich
meinen inneren Wunsch, denn ich möchte diese Horroretappe so schnell wie
möglich hinter mich bringen. Da mein Schienbein immer stärker schmerzt, lasse
ich Chris und Marcos ziehen und hinke eine sanfte Steigung hinauf nach
Vilamaior. Hinter mir höre ich einige Pilger näherkommen. Allerdings überholen
sie mich nicht, sondern laufen völlig stumpf hinter mir her, was mir gehörig
auf die Nerven geht. Wie bereits erwähnt, heute nervt mich einfach alles.
Scheinbar heften sich die ganzen Daypack-Pilger an den einzigen
Langstreckenläufer weit und breit, und ich komme mir vor wie eine heilige
Gänsemutter. Hinter dem Dorf folgen in losen Abständen weitere Häuser entlang
des Camino, und vor einem von ihnen sehe ich zwei Mädchen mit einem Skateboard
spielen. So tollpatschig sich die beiden Kinder verhalten, bekomme ich
plötzlich ein ungutes Gefühl. Völlig zu Recht, wie sich im nächsten Augenblick
herausstellt. Eines der Mädchen setzt sich auf das Skateboard, das ändere
schiebt es an und donnert es mit Karacho gegen mein lädiertes rechtes Bein.
Wenn jetzt irgendjemand denkt, diese dummen Hintenbleibpilger hätten auch nur
im Ansatz nachgefragt, ob alles in Ordnung sei, der irrt sich. Wenn jetzt
irgendein anderer denkt, diese Kinder hätten sich auch nur im Ansatz
entschuldigt der irrt sich ebenfalls. Über die Sorte Wanderer, die gerade
hinter mir läuft, habe ich an anderer Stelle geschrieben: Arschloch bleibt
Arschloch, mit oder ohne Jakobsmuschel am Rucksack. Lachend laufen sie an mir
vorbei. Die können den Camino noch tausendmal gehen, sie werden immer nur ein
paar Freizeitwanderer bleiben. Den Kindern werfe ich nichts vor, als Kind war
ich auch manchmal doof. Dass sie sich nicht entschuldigt haben, liegt an
mangelhafter Erziehung, da können sie überhaupt nichts für. Vor dem Camino
hätte ich mich sicherlich etwas länger aufgeregt, etwa zwei bis drei Wochen
schätze ich. Natürlich schmerzt mein rechtes, nun ziemlich ramponiertes Bein
immer heftiger, aber was soll ich machen? Umkehren? Nicht umsonst stammt das
Wort »Karacho« vom spanischen Wort »carajo« ab, was gerufen ein
herrliches Fluchen ergibt und »Schwanz« bedeutet. Und damit ist ganz sicher
nicht der fröhlich wedelnde Kuhschwanz gemeint.
Immerhin führt die Kollision
dazu, dass ich auf mein Bein pfeife und Gas gebe. Außerdem habe ich ja eh nur
noch zehn Restkilometer auf dem Camino zu absolvieren. Es dauert nicht lang,
und ich habe meine beiden Pilgerfreunde eingeholt. Die letzten Kilometer nach
Monte do Gozo setzen dieser einzigartigen Etappe die Krone auf. Eine
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