Vom Wahn zur Tat
die sich in den letzten eineinhalb Jahren zum Fall Breivik entwickelt haben, benutzen, um Einblicke in das Erleben, in die Tatmotive und die Ausführung der Taten schizophrener Menschen zu geben. Dazu scheint es in einem ersten Schritt notwendig zu verdeutlichen, was unter Schizophrenie zu verstehen ist. „Schizophrenie“ und „schizophren“ sind Begriffe, die Journalisten und Politiker gern verwenden, um damit mehr oder weniger widersprüchliches Denken oder Handeln zu bezeichnen. Als schizophren kann inzwischen alles bezeichnet werden, von Einstellungen über Beziehungen bis zur Gesellschaft. Es gilt also im ersten Schritt klarzumachen, mit welchen Erscheinungsformen des Erlebens wir es zu tun haben.
Damit die weiteren Ausführungen verständlich sind, müssen die rechtlichen Rahmenbedingungen des österreichischen Maßnahmenvollzugs vorgestellt werden. Wie danach zu zeigen sein wird, haben Schizophreniekranke höhere Raten an Gewaltdelinquenz, trotzdem ist die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines psychotischen Menschen zu werden, sehr gering. Wie diese Widersprüche zu erklären sind und welche Ursachen für Gewalttätigkeiten sich bei diesen Kranken finden, wird im nächsten Abschnitt erläutert. Im zweiten Teil werden die zuvor präsentierten Fakten anhand von Fallbeispielen anschaulich gemacht. Abschließend beschäftigen wir uns mit den Bemühungen der Forensischen Psychiatrie, schizophrene Straftäter wieder in die Gesellschaft zu reintegrieren. Dieser Abschnitt umfasst die Beschreibung der therapeutischen Bemühungen im Maßnahmenvollzug sowie die Rahmenbedingungen für eine bedingte Entlassung und das Leben danach.
Ich möchte mich beim Residenz Verlag bedanken, der mir die Möglichkeit gab, einen Teil meiner Erfahrungen, die ich mit schizophrenen Menschen gemacht habe, im vorliegenden Buch zu veröffentlichen. Mein besonderer Dank gilt Jürgen Hatzenbichler, der mich unterstützte, eine sprachlich angemessene Form dafür zu finden. Widmen möchte ich das Buch meiner Frau und meinen Kindern, die mich auch diesmal aufopfernd und selbstlos unterstützt haben.
1. DIE SCHIZOPHRENIE – ODER WIE ES IST, AUS DER WELT ZU FALLEN
Der Terminus Schizophrenie wurde 1911 von dem Schweizer Psychiater Eugen Bleuler in seiner Monographie
Dementia praecox oder Die Gruppe der Schizophrenien
eingeführt. Die Beschreibungen dieses Krankheitsbildes können allerdings auf eine wesentlich längere Geschichte zurückblicken. Wilhelm Griesinger unterschied bereits 1845 zwischen primärer „Verrücktheit“ und sekundären Schwächezuständen, Ewald Hecker (1871) und Karl Ludwig Kahlbaum (1874) veröffentlichten Arbeiten über das „Jugendirresein“ (Hebephrenie) und über das „Spannungsirresein“ (Katatonie). Emil Kraepelin fasste 1893 die Paranoia, die Hebephrenie und die Katatonie in seinem Lehrbuch unter dem Begriff Dementia praecox zusammen. Während nach Kraepelin die Dementia praecox vorrangig durch ihren chronischen Verlauf und schlechten Ausgang charakterisiert ist, hielt Bleuler die im Querschnitt erfassbare Symptomatik für entscheidend. Als die Grundsymptome der Schizophrenie beschrieb er Assoziationslockerung, Affektstörungen, die Parathymie (hier entspricht der affektive Ausdruck nicht dem Inhalt des Gesagten), Autismus und Ambivalenz. Diesen stellte er akzessorische, also „hinzutretende“ Symptome wie etwa Sinnestäuschungen, Wahnphänomene und katatone Symptome gegenüber. Bleuler wählte den Terminus Schizophrenie, weil er mentale Assoziationsstörungen für die Grundstörung der Krankheit hielt. Gemeint war damit das Auseinanderfallen gedanklicher Verbindungen, was sich in Denk- und Sprachstörungen ausdrückt, oder die Lockerung der Verknüpfungen zwischen Gefühlsausdruck und Inhalt des Gesagten, was sich in fehlender Übereinstimmung zwischen Stimmung und Wahninhalt bzw. realen Erlebnissen äußern kann. Ein charakteristisches Beispiel dafür wäre Heiterkeit nach einer Todesnachricht oder Verzweiflung nach erfolgreich bestandener Prüfung. Mit Persönlichkeitsspaltung oder mit den trivialen Widersprüchlichkeiten in Alltag, Medien und Politik hat diese Bleuler’sche Assoziationsstörung nichts zu tun. Ein weiterer wichtiger Schritt zur besseren Erfassung der Schizophrenie waren die sogenannten Symptome ersten Ranges, die von Kurt Schneider beschrieben wurden. Darunter werden heterogene Symptome verstanden, die es erlauben, Schizophrenien von anderen psychotischen und nicht psychotischen Störungen
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