Vom Wunsch, Indianer zu werden
erwirbt und in dem man ebenso durch Arbeit wie durch den Zufall einer glücklichen Spekulation zu einem Vermögen gelangt, dessen Summen selbst für vornehme Europäer etwas Ehrfurchtgebietendes haben. Immer noch gibt es auch einen Onkel, der aus seiner kleinen Gemeinde in Europa nach Amerika zieht, sich dort unkenntlich unters Volk mischt, für seine Angehörigen verschwindet und verschollt. – Das war Zeitungslektüre für regnerische Sonntagvormittage. So etwas durfte man nicht ernst nehmen.
All die Jahre hatte es dieser Onkel, der sich von seinen amerikanischen Freunden wahrscheinlich Jack nennen ließ, nicht der Mühe wert gefunden, wenigstens einen Brief an seine armen europäischen Verwandten zu schreiben. Aber jetzt wollte er auftauchen und sich als der Deus ex machina aufspielen. Und der kleine schäbige Neffe sollte wahrscheinlich beeindruckt sein über sein zugleich hochnäsiges wie leutseliges Auftreten. Nein und nochmals nein! Karl Roßmann würde nicht stehen bleiben und warten, bis dieser gnädige Herr Onkel, der übrigens gar nicht wissen konnte, daß und wann er in Amerika ankam, an der Längsseite des Schiffes anlegte.
Nun, sagte May, wie geht die Geschichte weiter? Lassen wir das Fallreep hinunter, lassen wir den Onkel an Bord steigen und seinen Neffen in die Arme schließen?
Nein, sagte Kafka. Der Neffe ist gar nicht mehr an Deck.
Wie das? fragte May.
Weil …, sagte Kafka. Ach was, vielleicht hat er etwas unter Deck vergessen.
May lachte. Was könnte er unten vergessen haben?
Was weiß ich? sagte Kafka. Meinetwegen seinen Regenschirm!
Ah ja, sagte May, seinen Schirm wird er nicht einfach auf dem Schiff zurücklassen. Schließlich kann man nicht wissen, wie das Wetter in der Neuen Welt sein wird.
Lieber Max,
May hat mich wirklich dazu gebracht, mit ihm eine Geschichte zu beginnen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht recht, was ich davon halten soll, aber wir haben heute, in Liegestühlen auf dem Sonnendeck sitzend, den ganzen Nachmittag darauf verwendet. Wahrscheinlich ist es ja einfach Unsinn, was einem auf diese Weise einfällt. Aber, so beschämend es ist, meine anscheinend wirklich süchtige Phantasie reagiert selbst auf so fragwürdige Reize. Was wir bisher zu Papier gebracht haben, liest sich wie ein Dreigroschenroman. Armer junger Mann, fast noch ein Kind, von seiner Familie wegen eines Skandälchens verstoßen, befindet sich (originell, nichtwahr?) auf einem Schiff wie dem unseren, und zwar kurz vor der Landung in Amerika. Reicher Onkel, Senator, in schwer durchschaubaren Kommissions- & Speditionsgeschäften Millionär geworden, hat, weiß der Kuckuck wie, von seiner Ankunft erfahren. Erscheint, um ihn abzuholen. Wie es weitergehen soll, darüber sind sich May und ich noch etwas uneinig.
Soweit das Komische. Aber jetzt folgt das Seltsame. In meiner Koje liegend, träume ich sozusagen die erste Fortsetzung. Weil er seinen Regenschirm unter Deck vergessen hat, ist Karl Roßmann, so heißt unser Protagonist, noch einmal, kurz, wie er glaubt, dorthin zurückgekehrt. Jedoch, und damit sind wir schon in meinem Traum, er verirrt sich, unten, dort wo er herkommt, ist das Schiff ein Labyrinth von einander immer wieder folgenden Treppen und fortwährend abbiegenden Korridoren, und als er endlich nichts Besseres weiß, als an irgendeine Tür zu klopfen, ist dahinter ein Heizer, groß, breit, noch schwarz von seiner Arbeit, aber ich habe den Eindruck, damit bin ich in einer ganz anderen Geschichte.
Es ist jetzt halb ein Uhr Nacht, von einem Schrecken, der mich, ich weiß nicht mehr warum, im Traum erfaßt hat, bin ich aufgewacht. Der Heizer, soweit ich mich erinnere, war freundlich und hat nichts dagegen gehabt, daß Roßmann bei ihm eintritt. Allerdings konnte er keine offenen Türen leiden und hat Karl, der wohl noch etwas unschlüssig war, schließlich regelrecht zu sich in die Kabine hineingezogen. Die Herren Robinson & Delamarche, von denen ich Dir ja schon geschrieben habe, schnarchen wieder entsetzlich, vielleicht haben auch sie mich aufgeweckt.
Doch, doch, sagte May, warum nicht, dieser Heizer gefällt mir. Ich weiß zwar auch nicht recht, wie wir ihn in die Geschichte mit dem Onkel einbauen sollen, aber er ist mir auf Anhieb sympathisch. Woran kann das liegen? Ach ja: Er wäre ein Deutscher! Er wäre ein Deutscher und hätte viel unter der Willkür, sagen wir des Obermaschinisten, zu leiden.
Der wäre zum Beispiel Rumäne. Wie heißt er gleich? Schubal! Ja, Schubal, würde der
Weitere Kostenlose Bücher