Vom Wunsch, Indianer zu werden
werden soll. Und von einem obskuren Komitee, das dieses Projekt betreibt, sogar sein alter Freund Old Surehand gehört dazu. Das findet er bitter enttäuschend, denn dieses Denkmal, sagt er, ist ein einziges Mißverständnis. Stellen Sie sich vor, sagt er, Winnetou, der nicht größer war als ich (denn seine Größe habe in etwas ganz anderem bestanden),
sein
Winnetou, sagt er, gigantisch in Fels gehauen, diese Verfälschung könne er nicht zulassen.
Hingegen habe er großes Interesse an einem sogenannten Clan der Winnetous. Das wäre, wenn ich es recht verstanden habe, so etwas wie eine geistige Nachfolge-Winnetou-Vereinigung. Jeder könnte dabeisein, ganz unabhängig, hat er betont, von seiner Stammeszugehörigkeit. Aber das hat er mir nur unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitgeteilt, und auch Du sollst es nicht weitersagen.
Mir will er vertrauen. Um der paar Zeilen willen, die er von mir kennt. So etwas, sagt er, habe er immer zu beschreiben versucht. Ritte mit Rih, Hatatitla und wie seine edlen Tiere alle heißen. Aber so, daß bei einem Ritt alles Akzidentielle überflüssig wird, Steigbügel, Sattel, Zaumzeug, letzten Endes sogar das Roß, und nur die Substanz bleibt, sozusagen der Ritt an sich, so, sagt er, das müsse er zugeben, habe er es nie zustande gebracht.
Glaub mir, Max, ich habe mich fast geschämt. Mir sind ja Einzelheiten gelungen, aber darüber hinaus hat es nie gereicht. Im übrigen waren das wahrscheinlich meine letzten Zeilen mit literarischem Ehrgeiz. Wenn ich in der Neuen Welt drüben ein neues Leben beginnen will, kann ich doch auch und gerade diese Last nicht mitschleppen.
Die Wahrheit ist außerdem die: Ich
kann
nicht mehr schreiben. Ich bringe kaum eine Zeile mehr zustande, die ich anerkenne, kaum habe ich etwas geschrieben, streiche ich es auch schon wieder durch, und das wahrscheinlich mit Recht. Mein ganzer Körper warnt mich vor jedem Wort, jedes Wort, ehe es sich von mir niederschreiben läßt, schaut sich zuerst nach allen Seiten um. Die Sätze zerbrechen mir förmlich, ich sehe ihr Inneres und muß dann aber rasch aufhören.
Hast Du das je erlebt? Wenn nicht, dann sei froh! Karl May scheint das nie widerfahren zu sein. In gewisser Hinsicht beneidenswert. Übrigens hat die Vorstellung, ohne Pferd durch die bis auf den Horizont aufgelöste Gegend zu reiten (freischwebend in Reiterhaltung!) auch etwas Lächerliches.
Das Briefeschreiben werde ich mir allerdings wohl nie ganz abgewöhnen. Da brauchst Du Dir keine falschen Sorgen oder Hoffnungen zu machen. Du wirst von mir hören. Der Rest der Weltbevölkerung hat ohnehin ein geringeres Interesse daran. Der Frau May habe ich nebenbei auch zwei Zeilen geschrieben und ihren Mann gebeten, sie ihr mit den besten Wünschen zu übermitteln.
Liebster Max,
die Frau Klara habe ich noch immer nicht zu Gesicht bekommen. Es geht ihr schon besser, sagt May, aber wegen unserer Séance will sie den Vollmond abwarten. Ehrlich gestanden habe ich keine Ahnung, wann Vollmond sein wird, auf solche Naturerscheinungen, selbst hier auf dem Schiff, achte ich viel zu wenig. Aber ich fürchte beinah, dieser Vollmond wird
bald
sein.
Der Zustand meines Kopfes wird leider auch wieder schlimmer. Es ist, als hörte ich einen schmerzhaft hohen Violinenton, fast an der Hörgrenze. Oder auch etwas
über
der Hörgrenze, so daß ich ihn eigentlich
nicht
höre. Aber ich weiß (und das ist genug), daß er da ist.
Außerdem habe ich heute sehr schlecht geträumt. Ich fuhr mit dem Ruderboot auf der Moldau, aber als ich an der Schwimmschule vorbeikam, schwamm plötzlich mein Vater hinter mir her. Wie ein Schmetterlingsschwimmer richtete er seinen Oberkörper hoch und wütend aus dem Wasser auf, so daß ich die weißen Haare auf seiner breiten Brust sah. Du darfst ihm gegenüber wirklich auf keinen Fall zugeben, daß Du auch nur die blasseste Ahnung von meinem Verbleib hast.
Hingegen möchte ich Dich bitten, einmal bei Direktor Marschner in der Versicherung vorbeizusehen. Er ist ein wohlwollender Mann, weißt Du, und ich möchte ihn nicht vor den Kopf stoßen. Vielleicht könntest Du den Betrag, den ich für meine Dienstreise mitgenommen habe, inzwischen auslegen. Er war nicht sehr hoch. Sobald ich kann, lasse ich Dir das Geld dann überweisen.
Ein Kuriosum am Rand, das Dich vielleicht trotzdem interessieren wird. May hat mir den Vorschlag gemacht, etwas mit ihm gemeinsam zu schreiben. Sie wissen doch, habe ich eingewandt, daß ich überhaupt nichts mehr zu
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