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Vom Wunsch, Indianer zu werden

Vom Wunsch, Indianer zu werden

Titel: Vom Wunsch, Indianer zu werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Henisch
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(wie genau, scheint allerdings nicht einmal er selbst zu wissen) unter-, neben-, zwischen- oder überreale. Ich habe – in einer Situation, in der ich schwer anders konnte – ein gewisses Interesse an den Séancen geäußert, die er, wenn ich richtig verstanden habe, mit seiner Gattin ab und zu absolviert. Das ist mir jetzt unangenehm, um nicht zu sagen peinlich. Gott sei Dank scheint sich Frau Klara in Hinblick auf eine solche Veranstaltung mit meiner Beteiligung auch nicht ganz wohl zu fühlen. Jedenfalls war sie, nachdem sie gestern nicht zum Abendessen erschienen ist, heute indisponiert, so daß die Beschwörung, die um meinetwillen arrangiert werden sollte, verschoben werden muß – ich habe, ehrlich gesagt, aufgeatmet.
    Anderseits war ich deshalb auch etwas beunruhigt. Bestimmt habe ich etwas falsch gemacht – manchmal stolpere ich ja buchstäblich von einem Fauxpas in den anderen. Oft fürchte ich schon durch meine bloße Körperhaltung alles zu verderben. Vielleicht hat die Frau May einfach genug davon und will mich nicht mehr sehen.
    Um das herauszubekommen, habe ich heute wieder Stunden mit ihrem Mann verbracht. Er hat mir verschiedenes über Indianer erzählt, weil er – das hängt mit einem Stück Prosa von mir zusammen, das ich vorgestern (erst recht unvorsichtigerweise) zitiert habe – davon ausgeht, daß ich mich für Indianer interessiere. Nein, lieber Max, Du kennst diese Skizze noch nicht. Es handelt sich eigentlich nur um einen einzigen Satz, der, sechs, sieben Zeilen lang, in einen Schwebezustand zwischen Irrealis und Indikativ gerät und dann allen Ballast abwirft, alles verneint, was er nicht braucht, bis der Reiter, der auf ihm sitzt wie auf einem Pferd, auch dieses Pferd nicht mehr nötig hat – aber natürlich ist das, obwohl es vielleicht das Ziel unserer Wünsche wäre, ein unhaltbarer Zustand.
    Ob ich weiß, hat mich May gefragt, daß die Indianer ursprünglich, vor der sogenannten Entdeckung Amerikas, zu Fuß gegangen sind? Wenn Columbus den Ureinwohnern Amerikas etwas Gutes gebracht, damit sozusagen zur Vollendung ihres Wesens beigetragen hat, dann das Pferd. Weitschichtig sollen die Mustangs von den Araberpferden abstammen, die mit den Spaniern schließlich nach Mexiko kamen. Unter Cortez sollen fünfundzwanzig von ihnen, von Freiheitsdrang gepackt, ihren Hütern entwischt sein und sich in Richtung Norden davongemacht haben.
    Von der Theorie, daß es sich bei den Indianern um Abkömmlinge der verlorenen zehn Stämme Israels handelt, hält er allerdings nichts. Schön, sie mögen während der Eiszeit über die Aleuten eingewandert, also aus Asien gekommen sein, aber ich bitte Sie, Juden … Nein, nein, sagt er, die Indianer und die Juden, diese Verwandtschaft kann ich mir nicht vorstellen. Gewisse Charakterzüge und vor allem das hochentwickelte Ehrgefühl der Indianer haben doch eher etwas Germanisches.
    Wie Du dir denken kannst, lieber Max, habe ich mich lieber nicht zu diesem Thema geäußert. Vielleicht hat ihn mein Schweigen unsicher gemacht, denn nach einer Weile hat er sich bemüßigt gefühlt, seine zuvor geäußerte Ansicht zu modifizieren. Naja, hat er gesagt und mich etwas merkwürdig von der Seite angeschaut, natürlich gibt es solche und solche. Edle und hinterhältige Indianer, feine und miese Juden – ich will nichts Falsches gesagt haben.
    Aber zurück zu den Mustangs. Sie durchschwammen den Rio Grande del Norte und verbreiteten sich in den Ebenen von Arizona und Texas. Dort wurden sie zuallererst von den Apachen entdeckt. Bald hatten sich die Apachen zu ausgezeichneten Reitern entwickelt. Es dauerte nicht lange, bis die meisten anderen Stämme es ihnen nachmachten.
    Doch die Apachen, wohlgemerkt, waren die ersten. Was Karl May überdies für diesen Stamm eingenommen hat, war sein schlechter Ruf. Seine Apachen waren der verachtetste und verrufenste Stamm im ganzen Südwesten, das Wort Apache bedeutet in der Sprache der benachbarten Zuni ganz einfach Feind. Ob ich es nicht wunderbar finde, daß Winnetou gerade aus diesem Volk hervorgegangen ist?
    Ja, aber Winnetou …, habe ich gesagt. Nein, hat er mich unterbrochen, er war ein echter Sproß seines Stammes. So ein Apache wie dieser Apache war nie ein Apache. Und jetzt ist er tot. Bei diesen Worten standen ihm die Tränen in den Augen. Was sollte ich tun, Max? Ich weiß nicht, ob ich das Recht habe, ihm zu widersprechen.
    Er hat dann von einem obskuren Denkmal zu reden begonnen, das seinem Winnetou jetzt gesetzt

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