Von den Sternen gekuesst
meine Schulter an. Der Dolch sitzt nur eine Haaresbreite neben der schützenden Kevlarweste und steckt so tief, dass die Klinge auf meinem Rücken wieder austritt. »Tut es weh?«, fragt er, greift nach dem Saum seines T-Shirts, reißt einen breiten Streifen davon ab und hängt ihn sich über den Unterarm.
»Nein, um ehrlich zu sein, spüre ich nichts«, gebe ich zu.
»Gut. Mach die Augen zu und beiß die Zähne zusammen«, ordert er. Mit einer Hand umschließt er meinen Oberarm und reißt den Dolch mit einer schnellen Bewegung heraus.
Ich presse mir die Hand auf den Mund, um den Schrei zu dämpfen, dabei ist das völlig unnötig – er geht sowieso im tosenden Lärm unter. Vincent nimmt den Stoffstreifen und bindet ihn fest um die Wunde. »Kannst du den Arm bewegen?«
Ich versuche es. Ein stechender Schmerz schießt von der Schulter in die Hand, so stark, dass ich aufschreie.
Vincent reißt ein weiteres Stück Stoff von seinem Shirt und sichert meinen nun nutzlosen Arm damit vor meiner Brust. »Kein Ausgang ist unbewacht«, sagt er, während er knotet. »Ich kann dich nicht rausbringen, ohne kämpfen zu müssen.«
»Wir gehen ja auch noch nicht«, sage ich und verschaffe mir einen Überblick über die Arena. Obwohl die Numa mit doppelt so vielen Personen angetreten waren, sinkt ihre Zahl beständig. Die deutschen Anverwandten arbeiten wie am Fließband: Knöpfen sich einzeln kämpfende Numa zu zweit vor, töten sie und werfen ihre toten Körper ins Feuer. Zehn Leichen brennen dort gerade gleichzeitig und die Punkerfraktion scheint nicht mal langsamer zu werden.
Ein Pfiff ertönt, Vincent und ich blicken uns um. Wir entdecken Uta neben dem Feuer, die wild gestikuliert. Sie hält Violettes Kopf an den Haaren und erinnert mich an Perseus mit der Medusa. »Ihr seid meine Zeugen«, schreit sie. Dann nickt sie ihren Jungs zu, die Violettes restlichen Körper in die Flammen werfen, während sie den Kopf hineinschleudert.
Mit gemischten Gefühlen sehe ich, wie ihre Leiche Feuer fängt. Das verbitterte, kaputte Mädchen ist fort und ich bin von Mitleid und Erleichterung überwältigt. Vincent nimmt meine Hand. »Alles in Ordnung?«, fragt er und scheint meine Gedanken zu lesen. Ich hole tief Luft und nicke einmal. Die Geschichte ist abgehakt.
Ich blicke mich nach meinen Anverwandten um und entdecke Jean-Baptiste und Gaspard, die Rücken an Rücken kämpfen. Ihre Bewegungen sind so synchron, dass sie ein und dieselbe Person sein könnten: der erfolgreichste Krieger, der jedem den Tod bringt, der sich nur in die Nähe wagt.
Nicht weit von ihnen ist Charlotte. Mit ihrer Armbrust hockt sie auf der Steinmauer vor einer der Tribünen und schaltet einen Numa nach dem anderen aus. Wie von selbst findet ihre Hand den Weg zum Köcher, greift zum nächsten Pfeil, lädt und drückt ab – alles in mörderischer Perfektion und Schnelligkeit. Arthur ist bei ihr und hält ihr den Rücken frei, wehrt jeden ab, der sich nähert.
Wir verlassen die geschützte Position hinter dem Feuer und steuern Charlotte an.
Obwohl ich nicht die gesamte Umgebung überblicken kann, hat die Dichte der roten Lichtsäulen rapide abgenommen. Zwei Bardia mit Irokesenhaarschnitt stürmen an uns vorbei Richtung Feuer, einen toten Numa im Schlepptau. Eine leise Hoffnung regt sich bei mir. Wir haben zahlenmäßig extrem aufgeholt. Wir könnten das hier tatsächlich für uns entscheiden.
Vincent und ich sind nur noch wenige Meter von Charlotte entfernt, als sich ein Pfeil in ihre Brust bohrt. Schockiert senkt sie ihren Blick auf das Geschoss, sackt dann in sich zusammen und stürzt von der Mauer. Vincent lokalisiert den Bogenschützen und nimmt die Verfolgung auf, während ich versuche, mich zu Charlotte durchzuschlagen. Bevor ich sie erreiche, ist ein Numamädchen bei ihr und zerrt sie schon zum Feuer.
»Finger weg!«, schreie ich. Das Mädchen sieht mich kurz an, zieht dann in Sekundenschnelle ihr Schwert und macht sich zum Kämpfen bereit. Ich hole aus, doch bevor ich richtig ansetzen kann, springt Charles vor mich und schmettert seine Klinge gegen die des Mädchens. »Ich kümmere mich um die hier«, ruft er mir zu. »Bring du nur meine Schwester so weit wie möglich vom Feuer weg.«
Ich klemme mir Charlottes Füße unter den noch funktionierenden Arm und schleife sie wieder zur Steinmauer. Dabei muss ich mir große Mühe geben, nicht in ihre leeren Augen zu schauen. Ein Pfeil zischt an meinem Kopf vorbei und ich weiche mit einem Ausfallschritt noch
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