Von der Liebe, linken Händen und der Angst vor leeren Einkaufskörben

an euch auslasse, werde ich den Kerl nicht los. Den schleppe ich mein Leben lang mit mir herum. Okay, er ist ein Korinthenkacker, aber vergesst trotzdem nicht, er ist mein eigenes Gewissen, ein bisschen Respekt also, dreht eure Zunge siebenmal.
    Und doch sehe ich eine Hoffnung, eine leichte Brise lässt die Segel flattern. Wenn wir richtig rechnen, hat G. immerhin drei Tage gebraucht, um mitzukriegen, dass wir ihm auf einer utopischen Triere durch die Lappen gegangen sind. G. ist folglich ziemlich langsam, wir dagegen sind schlau, schnell und raffiniert. Für zweiundsiebzig Stunden können wir ihn täuschen. Das ist schon mal enorm. Mit einem Luftschiff oder auch mit einem etwas leistungsstärkeren Heizkesselkönnten wir da ganz schön weit kommen. Wir hätten die Zeit, jede Menge Präzepte, Perzepte und Patellen auszutauschen, haufenweise Konzepte und Kalmare zu schlucken, Errungenschaften wiederzubeleben und Wörter mit Cuttern aus dem Lexikon herauszuschneiden, bevor er dahinterkäme, dass seine Gefangenen auf und davon sind. Wir würden uns auch noch weitere Listen ausdenken. Wir würden Treibstoff in unseren Schuhsohlen verstecken. Wir würden Flugblätter unter der Hand weitergeben, G. ist Puritaner, am Ende gar noch Veganer? Und erinnert ihr euch noch, wie ihr das ganze Brennholz aufgegessen habt?
    Drei Tage haben wir, um uns unter seinen Augen davonzustehlen, drei volle Tage, oder vier, wenn wir zügig laufen, fünf, wenn wir rennen. Nachts werden wir losgehen, auf Zehenspitzen. Wir werden Kaffee trinken in Cafés, ohne uns um Stilfragen zu kümmern, wir werden simultan denken, wir werden Enten zeichnen, auch Hühner und ihnen Mozart auflegen, wir werden der Morgenröte der Menschheit (rot bei Sonnenuntergang, rot bei ihrem Aufgang) wie auch eurer hellsichtigen Glückseligkeit entgegeneilen, wir werden Leitern zimmern, wir werden Farben mischen, wir werden unaufhörlich reden.
    Ihr auch. Na, gut.
    Und wir werden was zu lachen haben. Ich sage euch Bescheid, sobald das Schiff zum Auslaufen bereit ist. Ich lasse euch unter der Hand ein Flugblatt zukommen. Wir werden drei Milliarden sein plus ein Mann. Eine gewaltige Triere mit siebenhundert Ruderbänken. Wir werden in unsere Hände spucken, wir werden Erfindungen erfinden, Treibholz sammeln und Schwämme, wir alle werden Melborps entwickeln, wir werden linke Hände haben, phantastische Lieben, vergessen wir die nicht, nein, wir vergessen sie nicht, packt sie mit in eure Rucksäcke.
    Ich verlasse euch, G. kommt zurück, er wittert etwas. Ich halte die Klappe, tue, als ob nichts wäre, und entspanne mich. Vergesst das Flugblatt nicht: Triere sticht in See, der Nachbar weiß es eh.

Informationen zum Buch
    Vom Sinn des Nichtstuns
    Fred Vargas ist mit ihren literarischen Kriminalromanen um Kommissar Adamsberg weltberühmt geworden. Mit diesem charmanten Buch unternimmt sie den Versuch, das »monströse Knäuel des Lebens« zu entwirren und den Schlüssel zum Glück zu finden: Nur wer das Unnötige schätzt, ist imstande, die Balance zu halten und einen direkten Draht zum Glück herzustellen. Eine hinreißende kleine Farbenlehre entwirft die Autorin zum Thema Liebe – und empfiehlt dringend, sich dabei nicht von der Angst vor leeren Einkaufskörben treiben zu lassen.
    »Es gibt eine Magie Vargas.« Le Monde

Informationen zur Autorin
    FRED VARGAS , geb. 1957 und von Haus aus Archäologin. Sie ist heute die bedeutendste französische Kriminalautorin und eine Schriftstellerin von Weltrang. 2004 erhielt sie für »Fliehe weit und schnell« den Deutschen Krimipreis, 2012 den Europäischen Krimipreis für ihr Gesamtwerk.
    Ihre Werke sind in über 40 Sprachen übersetzt und liegen sämtlich bei Aufbau in Übersetzung vor:In deutscher Übersetzung liegen im Aufbau Verlag vor:
    Kriminalromane mit Kommissar Adamsberg:
    Es geht noch ein Zug von der Gare du Nord
    Bei Einbruch der Nacht
    Fliehe weit und schnell
    Der vierzehnte Stein
    Die dritte Jungfrau
    Die schwarzen Wasser der Seine
    Das Zeichen des Widders (Graphic Novel)
    Der verbotene Ort
    Die Tote im Pelzmantel (Graphic Novel)
    Die Nacht des Zorns
    Kriminalromane mit den »drei Evangelisten«:
    Die schöne Diva von Saint-Jacques
    Der untröstliche Witwer von Montparnasse
    Das Orakel von Port-Nicolas
    Andere:
    Im Schatten des Palazzo Farnese
    Essai:
    Vom Sinn des Lebens, der Liebe und dem Aufräumen von Schränken
    Von der Liebe, linken Händen und der Angst vor leeren Einkaufskörben (Herbst 2013)

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    Wem dieses Buch