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Von der Nacht verzaubert

Titel: Von der Nacht verzaubert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Plum
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Balkon, von wo aus man die gesamte Halle überblicken konnte. Ein gewaltiger Kristallkronleuchter von der Größe eines VW Beetle hing über unseren Köpfen und eine Vielzahl Perserteppiche bedeckte den Marmorboden, in den steinerne Blumen und Weinranken eingearbeitet waren. Was ist das hier bloß für ein Haus?, fragte ich mich.
    Ich folgte ihm in ein benachbartes Zimmer, das klein war, aber eine hohe Decke hatte und aussah, als wäre es seit dem siebzehnten Jahrhundert nicht mehr angerührt worden. Ich setzte mich auf ein antikes Sofa mit steinharten Polstern, nahm meinen Kopf in beide Hände, beugte mich vor und schloss die Augen. »Ich bin gleich wieder da«, sagte Vincent und ich hörte, wie er davonging und die Tür hinter sich schloss.
    Nach ein paar Minuten fühlte ich mich schon wieder besser. Ich lehnte mich auf der Couch zurück und sah mich in diesem eindrucksvollen Zimmer um. Schwere Vorhänge hingen vor den Fenstern und schirmten jeglichen Sonnenstrahl ab. Ein sehr feiner Kronleuchter, den früher offensichtlich Kerzen erleuchtet hatten, ehe sie durch elektrische Kerzenlampen ersetzt worden waren, spendete gerade genug Licht, dass man die Wände erkennen konnte, an denen unzählige Gemälde hingen. Ein Dutzend Jahrhunderte alter, übellauniger französischer Aristokraten starrte kritisch auf mich herab.
    Die Tür zu einem Dienstboteneingang im hinteren Teil des Zimmers schwang auf und Vincent kam herein. Er stellte ein silbernes Tablett vor mir auf den Tisch. Darauf standen eine wuchtige Teekanne in Form eines Drachen und eine dazu passende Tasse neben einem Teller voller Plätzchen, die so dünn waren wie Papier. Der Geruch von starkem Tee und Mandeln strömte mir entgegen.
    »Zucker und Koffein. Die beste Medizin der Welt«, sagte er und setzte sich auf einen gepolsterten Sessel ganz in meiner Nähe.
    Ich wollte mir etwas aus der schweren Teekanne einschenken, aber meine Hände zitterten so sehr, dass sie nur gegen die Tasse klirrte. »Lass mich das mal machen«, sagte Vincent, lehnte sich herüber und goss mir etwas ein. »Jeanne, unsere Haushälterin, macht den weltbesten Tee. Das hab ich zumindest gehört. Ich selbst bin mehr der Kaffeetyp.«
    Dieses Geplauder machte mich ganz krank. »Hör auf. Hör einfach auf.« Meine Zähne klapperten. Ich wusste nicht, ob es an meinen blank liegenden Nerven lag oder an meiner Befürchtung, dass hier etwas gewaltig schieflief. »Vincent ... Wer immer du auch sein magst.« Ich bin bei ihm zu Hause und kenne nicht mal seinen Nachnamen , schoss es mir durch den Kopf, bevor ich weitersprach. »Dein Freund ist gerade verunglückt und du erzählst mir ernsthaft was ...«, meine Stimme versagte, »... was von Kaffee?«
    Er blieb stumm, nahm aber eine verteidigende Haltung an.
    »Mein Gott«, sagte ich leise und fing wieder an zu weinen. »Was stimmt bloß nicht mit dir?«
    Im Zimmer war es still. Die Sekunden vertickten im Takt der großen Standuhr, die sich in einer Ecke befand. Meine Atmung normalisierte sich wieder. Ich rieb mir die Augen und versuchte, mich zusammenzureißen.
    »Es stimmt. Ich bin nicht besonders gut darin, meine Gefühle zu zeigen«, gestand Vincent.
    »Seine Gefühle nicht zu zeigen ist eine ganz andere Nummer, als wegzurennen, nachdem ein Freund von einer U-Bahn überfahren wurde.«
    Ganz leise und in sehr bedachtem Ton sagte er: »Wenn wir geblieben wären, hätten wir mit der Polizei sprechen müssen. Sie hätten uns beide befragt, genau wie die Zeugen, die vor Ort geblieben sind. Das wollte ich verhindern.« Er machte eine Pause. »Um jeden Preis.«
    Vincents abweisende Kälte schlich sich erneut in seine Züge. Ein Taubheitsgefühl breitete sich langsam in meinem ganzen Körper aus. »Das heißt, du bist ...« Ich schluckte. »Was bist du? Ein Verbrecher?«
    Seine dunklen, nachdenklichen Augen zogen mich magisch an, während mein Verstand mir riet, wegzurennen. Weit weg.
    »Was ist es? Wirst du gesucht? Weswegen? Hast du alle Gemälde gestohlen, die hier hängen?« Mir fiel auf, dass ich die letzte Frage regelrecht brüllte, also wurde ich leiser. »Oder noch etwas Schlimmeres?«
    Vincent räusperte sich, um Zeit zu gewinnen. »Ich sag’s mal so: Ich bin sicher nicht der Umgang, den deine Mutter sich für dich wünschen würde.«
    »Meine Mutter ist tot. Und mein Vater auch.« Die Wörter rutschten mir heraus, ehe ich sie daran hindern konnte.
    Vincent schloss die Augen und legte sich die Hände an die Stirn, als hätte er Schmerzen.

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