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Von der Nacht verzaubert

Titel: Von der Nacht verzaubert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Plum
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verrückt. Vielleicht hatte er von dem Unfall einen Hirnschaden davongetragen, dachte ich. Vielleicht war er nicht nur verrückt, sondern auch noch gefährlich, hatte Vincent getötet und auf sein Bett gelegt. Jetzt hatte er möglicherweise das Gleiche mit mir vor und wusste nur noch nicht, wo er mich erledigen sollte. Meine Gedanken waren außer Kontrolle; Horrorszenen liefen vor meinem inneren Auge ab. Panisch versuchte ich, mich aus seinem Griff zu befreien, aber er hielt mich nur noch fester.
    »Ich bringe dich in Charlottes Zimmer«, antwortete er sich selbst.
    »Wer ist Charlotte?«, meine Stimme bebte.
    »Ich will ihr überhaupt keine Angst einjagen!«, sagte Jules und blieb stehen. Er sah mich an und wirkte außer sich. »Pass auf, Kate. Ich weiß, dass das da drin für dich ein Schock gewesen sein muss, aber das hast du dir selbst eingebrockt. Dass du in das Zimmer gegangen bist, ist nicht meine Schuld. Ich bring dich jetzt woandershin, damit du dich dort beruhigen kannst. Und keine Angst, ich werde dir nichts tun.«
    »Ich darf nicht einfach gehen?«
    »Nein.«
    Eine Träne stahl sich aus meinem Auge und lief meine Wange hinunter. Ich wusste nicht mehr weiter. Ich war zu verwirrt und ängstlich, um mich zu beruhigen. Und viel zu entsetzt über mich selbst, dass ich weinte — so wollte ich ihm nicht gegenüberstehen. Ich wollte nicht schwach oder zerbrechlich wirken und starrte deshalb einfach auf den Boden.
    »Was ist denn jetzt los?«, fragte er und ließ meine Hand los. »Kate? Kate?« Seine ruppige Art wich einer plötzlichen Milde. »Kate.«
    Unsere Blicke trafen sich, während ich mit zitternden Fingern die Tränen wegwischte.
    »Oh, nein, ich hab dir total Angst eingejagt«, sagte er und sah mich das erste Mal richtig an. Er trat einen Schritt zurück. »Ich hab mich völlig falsch verhalten. Ich bin so ein Idiot.«
    Sei vorsichtig , sagte ich mir selbst, vielleicht spielt er das jetzt nur. Trotzdem kommt er ziemlich glaubwürdig rüber, so als hätte er wirklich ein schlechtes Gewissen.
    »Gut, ich will's dir erklären.« Er zögerte. »Zumindest soweit ich kann. Ich werde dir nichts tun. Das schwöre ich dir, Kate. Und ich verspreche dir, dass Vincent wieder auf die Beine kommt. Es ist alles nicht so, wie’s aussieht. Aber ich muss erst mit den anderen sprechen — den anderen, die hier wohnen —, bevor ich dich gehen lassen kann.«
    Ich nickte. Jules verhielt sich wesentlich vernünftiger als noch vor ein paar Minuten. Er sah so reumütig aus, dass ich ihn fast (aber auch nur fast) bedauernswert fand. Selbst wenn ich versuchen würde, abzuhauen, dachte ich, würde das Sicherheitstor meine Flucht vorzeitig beenden.
    Er streckte seine Hand nach mir aus, diesmal sehr vorsichtig, so als wollte er mich trösten, aber ich zuckte trotzdem zurück.
    »Schon gut, schon gut«, beschwichtigte er mich und hob seine Hände über den Kopf, als wolle er damit sagen: Ich ergebe mich. »Ich fass dich nicht an.«
    Jetzt sah er wirklich verstört aus. »Ich weiß«, sagte er einfach so in den Raum. »Ich bin ein Vollidiot.« Dann lief er weiter Richtung Eingangshalle. »Würdest du mir bitte folgen, Kate«, bat er niedergeschlagen.
    Ich folgte ihm. Was blieb mir auch anderes übrig?
    Er ging voran, die gewundene Treppe hinauf in den ersten Stock und bog in einen Flur ab. Er öffnete die Tür zu einem weiteren dunklen Zimmer, schaltete das Licht ein und blieb draußen stehen, während ich eintrat. »Mach es dir bequem, es dauert vielleicht ein Weilchen«, sagte er, meinem Blick ausweichend. Er machte die Tür hinter mir zu. Das Schloss klickte.
    »He!«, schrie ich und rüttelte an der Klinke. Ich war definitiv eingesperrt.
    »Ich musste abschließen. Das Letzte, was wir brauchen, ist, dass sie weiter durchs Haus schleicht.« Jules sprach wieder mit sich selbst. Seine Schritte entfernten sich.
    Ich wog meine Möglichkeiten ab. Außer hierzubleiben, hätte ich noch aus dem Fenster springen und dann über das Eingangstor klettern können. Das ist auch eine total realistische Alternative, dachte ich und fand mich damit ab, gerade nichts anderes tun zu können, als darauf zu warten, dass jemand die Tür wieder aufschloss.
    Es hätte dich auch schlimmer treffen können, dachte ich, während ich mich umsah. Die Wände waren mit gemusterter rosafarbener Seide verhängt, die schweren mintfarbenen Gardinen hatte man zu beiden Seiten des Fensters zurückgebunden, dessen obere Scheiben herzförmig waren. Geschmackvoll

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