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Von der Nacht verzaubert

Titel: Von der Nacht verzaubert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Plum
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Trugbild zu. Entweder habe ich einen Nervenzusammenbruch, der schon in der Bibliothek angefangen hat, dachte ich, oder der junge Mann, der vor mir steht, ist ein Gespenst. Beide Erklärungen erschienen mir einleuchtender als alle Alternativen: dass Jules ernsthaft einen Zusammenprall mit einer U-Bahn überlebt hatte — und das offensichtlich auch noch völlig unbeschadet.
    Als ich nur noch ein paar Meter entfernt war, sah er mich und zögerte — für den Bruchteil einer Sekunde. Dann drehte er sich vollständig zu mir und schaute mich mit leerem Gesichtsausdruck an.
    »Jules!«, sagte ich aufgeregt.
    »Hallo«, entgegnete er seelenruhig. »Kennen wir uns?«
    »Jules, ich bin’s, Kate. Ich war mit Vincent bei dir im Studio, erinnerst du dich nicht daran? Und ich habe dich in der Metrostation gesehen. Vor dem Unfall.«
    Nun sah er mich nicht mehr mit leerem Ausdruck, sondern reichlich amüsiert an. »Es tut mir sehr leid, aber Sie müssen mich verwechseln. Ich heiße Thomas und ich kenne niemanden, der Vincent heißt.«
    Thomas, von wegen, dachte ich und hätte ihn am liebsten geschüttelt. »Jules, ich weiß, dass du es bist. Du hattest einen fürchterlichen Unfall ... Das ist gerade mal vier Wochen her.«
    Er schüttelte den Kopf und zuckte mit den Achseln, als wollte er »Tut mir leid« sagen.
    »Jules, erklär mir doch bitte, was hier vor sich geht.«
    »Hören Sie, Kate? Ich weiß wirklich nicht, wovon Sie sprechen. Kommen Sie, ich glaube, Sie sollten sich setzen. Sie wirken ein wenig verwirrt. Oder verunsichert.« Er fasste mich am Arm und führte mich zu den Bänken.
    Ich riss mich los und stand ihm mit geballten Fäusten gegenüber. »Ich weiß, dass du’s bist. Ich bin doch nicht verrückt. Aber ich verstehe nicht, was hier los ist. Und ich habe Vincent vorgeworfen, er sei herzlos, weil ihn dein Tod so kalt gelassen hat. Und jetzt stehst du lebendig vor mir.«
    Ein Museumswärter kam auf uns zu, weil ich immer lauter geworden war. Ich warf Jules einen wütenden Blick zu, als der uniformierte Mann auch schon neben uns stand und fragte: »Gibt es hier ein Problem?«
    Jules sah dem Wärter ruhig in die Augen und sagte: »Nein, kein Problem. Diese junge Dame hat mich nur mit jemandem verwechselt.«
    »Hab ich nicht«, zischte ich. Dann ging ich, und zwar ziemlich schnell, in Richtung Ausgang. Ein kurzer Blick über die Schulter bestätigte mein Gefühl, dass Jules und der Wärter mir hinterhersahen. Ich verließ das Museum und rannte die Rolltreppen hinunter, um noch schneller zu sein.
    Es gab nur einen Ort, an dem ich Antworten finden würde.
    Die Rückfahrt in mein Viertel nahm kein Ende. Irgendwann trat ich endlich aus der Metrostation ins schwindende Tageslicht und lief hastig in die Rue de Grenelle. Als ich endlich vor der überwucherten Mauer stand, klingelte ich atemlos. Über meinem Kopf ging ein Licht an und ich starrte in eine Überwachungskamera.
    »Oui?«, fragte eine Stimme nach ein paar Sekunden.
    »Ich bin’s, Kate. Ich ...« Für einen Moment verließ mich der Mut. Dann fielen mir die grausamen Worte wieder ein, die ich als Letztes zu Vincent gesagt hatte, und so sagte ich entschlossen: »Ich bin eine Freundin von Vincent.«
    »Er ist nicht da.« Die Männerstimme dröhnte metallisch aus dem kleinen Lautsprecher unterhalb des Zahlenblocks für den Türcode.
    »Ich muss ihn dringend sprechen, kann ich ihm eine Nachricht hinterlassen?«
    »Haben Sie seine Handynummer denn nicht?«
    »Nein.«
    »Aber Sie sind mit ihm befreundet?« In der Stimme lag Skepsis.
    »Ja, also, ich meine, nein. Aber ich muss mit ihm sprechen. Bitte.«
    Einen Augenblick lang herrschte Stille. Dann hörte ich ein Klicken, das Tor war entriegelt worden und schwang nach innen auf. Auf der anderen Seite des Hofs stand ein Mann. Enttäuscht erkannte ich, dass es nicht Vincent war.
    Schnell ging ich über das Kopfsteinpflaster auf den Mann zu und suchte fieberhaft nach einer genialen Ausrede, ohne dabei wie eine Verrückte zu klingen. Aber als ich dann vor ihm stand, war mein Kopf völlig leer. Obwohl er aussah, als wäre er so um die sechzig, wirkten seine blassen grünen Augen steinalt.
    Seine längeren grauen Haare waren mit Pomade geglättet und sein Gesicht zierte eine lange, krumme, adelig wirkende Nase. Seine Kleidung und Haltung verrieten, dass er ein Angehöriger der französischen Aristokratie war.
    Durch Papys Handel mit Antiquitäten war ich schon häufiger mit Kunden aus diesem Umfeld in Kontakt gekommen, doch auch

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