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Von der Nacht verzaubert

Titel: Von der Nacht verzaubert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Plum
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so hätte ich seine Charakterzüge von den Porträts der Adligen wiedererkannt, die in allen französischen Schlössern und Museen hängen. Alter Stammbaum. Altes Geld. Dieser Palast musste ihm gehören.
    Seine Stimme unterbrach meinen Gedankengang: »Sie sind hier, um Vincent einen Besuch abzustatten?«
    »Ja ... Ich meine natürlich: Ja, Monsieur. «
    Er nickte anerkennend und schien zufrieden, dass ich wusste, wie man sich einem Mann seines Alters und Standes gegenüber verhält. »Es tut mir sehr leid, mich wiederholen zu müssen, aber Vincent ist nicht da.«
    »Wissen Sie, wann er zurückkommt?«
    »In ein paar Tagen, vermute ich.«
    Mir fiel nichts mehr ein, was ich noch hätte sagen können. Er wandte sich schon zum Gehen, und obwohl ich mir total blöd dabei vorkam, platzte ich damit heraus: »Könnte ich ihm wenigstens eine Nachricht hinterlassen?«
    »Was möchten Sie ihm denn ausrichten?«, fragte er steif und glättete seine seidene Ascotkrawatte, die auf einem makellosen Baumwollhemd ruhte.
    »Könnte ich das schriftlich machen?«, stammelte ich, wobei ich das starke Bedürfnis unterdrückte, einfach wieder zu gehen. »Es tut mir sehr leid, wenn ich Ihnen zur Last falle, Monsieur, aber wäre es möglich, dass ich ihm eine Nachricht schreibe?«
    Er hob die Augenbrauen und schaute mir einen Moment lang prüfend ins Gesicht. Dann öffnete er weit die Tür, um mich eintreten zu lassen und sagte: »Sehr wohl.«
    Wieder betrat ich die prachtvolle Eingangshalle und wartete, bis er die Tür hinter uns geschlossen hatte. »Folgen Sie mir«, fügte er hinzu und führte mich in das Zimmer, in dem Vincent mir den Tee serviert hatte. Er deutete auf einen Stuhl an einem Tisch und sagte: »Papier und Schreibutensilien finden Sie in der Schublade.«
    »Das hab ich alles dabei«, sagte ich und klopfte auf meine Tasche.
    »Soll ich Tee für Sie kommen lassen?«
    Ich nickte, weil ich dachte, dass ich dadurch ein wenig Zeit gewinnen würde, bis ich wusste, was ich schreiben sollte. »Gern, vielen Dank.«
    »Jeanne wird Ihnen Ihren Tee bringen und Sie dann hinausbegleiten. Die Nachricht können Sie ihr übergeben. Au revoir, Mademoiselle .« Er nickte kurz, verließ das Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Ich atmete erleichtert auf.
    Ich zog meinen Notizblock und einen Stift aus meiner Tasche, riss ein Blatt Papier heraus und starrte es eine komplette Minute lang an, bevor ich anfing zu schreiben. Vincent , fing ich an.
    Ich begreife langsam, was du meintest, als du gesagt hast, dass nicht alles so ist wie es scheint. Ich habe dein Foto und das deines Freundes bei den Nachrufen in einer Zeitung von 1968 gefunden. Und dann, direkt danach, habe ich Jules getroffen. Lebendig.
    Ich begreife nicht, was das alles bedeutet, dennoch möchte ich die Gelegenheit nutzen und mich für die schlimmen Dinge entschuldigen, die ich zu dir gesagt habe — nachdem du dich so fürsorglich um mich gekümmert hattest. Ich habe gesagt, dass ich hoffe, dich niemals wiederzusehen. Das nehme ich zurück.
    Erklär mir wenigstens, was los ist, damit ich das alles kapiere und nicht über kurz oder lang in der Klapse lande, weil ich unaufhörlich von lebendigen Toten spreche.
    Jetzt bist du dran.
Kate
    Ich faltete den Zettel zusammen und wartete. Aber Jeanne tauchte nicht auf. Minute um Minute verstrich, ich beobachtete die unermüdlichen Zeiger der Standuhr auf ihren endlosen Runden über das Ziffernblatt und wurde von Sekunde zu Sekunde nervöser. Irgendwann befürchtete ich, dass von mir erwartet wurde, zu Jeanne zu gehen. Dass sie mit dem Tee in der Küche auf mich wartete. Ich betrat das Foyer. Im Haus war es still.
    Gegenüber von mir befand sich eine Tür, die nur angelehnt war. Langsam ging ich darauf zu und lugte in das Zimmer. »Jeanne?«, rief ich leise. Keine Antwort. Ich drückte die Tür vollständig auf und stand kurz darauf in einem Zimmer, das fast genauso aussah wie das, aus dem ich gerade gekommen war. Auch in diesem Zimmer gab es ganz hinten eine kleine Tür. Sie ähnelte der Tür, durch die Vincent damals mit dem Tee gekommen war. Der Dienstboteneingang, dachte ich.
    Ich öffnete sie, dahinter lag ein langer, dunkler Korridor. Das Herz klopfte mir bis zum Hals, als ich auf die Tür am anderen Ende zulief, in die kleine lichtdurchlässige Scheiben eingelassen waren. Sie führte in eine riesige Küche. Auch hier war niemand. Ich atmete auf, weil ich befürchtet hatte, noch einmal dem Hausherrn in die Arme zu laufen.
    Ich

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