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Von der Nacht verzaubert

Titel: Von der Nacht verzaubert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Plum
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lassen.«
    »Nette Ausrede — und das just in dem Moment, in dem du anfängst zu schwächeln«, schmunzelte Ambrose. Er wandte sich wieder seinem Trainer zu und die beiden kämpften in langsamerem Tempo weiter.
    Vincent nahm sich ein Handtuch von einem Stuhl und wischte sich den Schweiß vom Gesicht. »Ich geh schnell duschen«, sagte er. »Wird nicht lang dauern.« Er joggte zu einer mit Kiefernholz verkleideten Dusche, die so groß war wie eine Sauna. Sie war oben offen und man konnte einen großen Duschkopf erkennen.
    Ambrose und Gaspard setzten ihre Trainingseinheit fort. Gaspard wirkte, als könne er noch stundenlang und ohne Pause so weitermachen. Ich schaute ihnen wie gebannt zu. Erneut wechselten sie die Waffe und nun arbeiteten sie gezielt an Ambroses Technik, indem Gaspard ihm immer wieder Anweisungen zurief, um seine Haltung zu korrigieren oder seine Hiebe zu perfektionieren.
    Bevor ich den Degen in der Hand hatte, war mir nicht bewusst gewesen, wie schwierig und anstrengend Kampfsport eigentlich war. In den Filmen sieht es immer so einfach aus, wenn alle mit Leichtigkeit die Wände hochfliegen und wie die reinsten Akrobatikkünstler ihre Schwerter einsetzen. Hier ließen der Schweiß, das angestrengte Ächzen und die eingesetzte Kraft erahnen, welche Geschicklichkeit sich hinter jeder einzelnen dieser atemberaubenden Bewegungen verbarg. Die imposante Kraft dieser Männer war ganz offensichtlich lebensgefährlich.
    Das Rauschen hörte auf und Vincent verließ die Dusche mit nur einem Handtuch um die Hüften. Er sah aus wie ein Gott, der gerade einem Bild der Renaissance entstiegen war. Seine braune Haut spannte sich über seinem muskulösen Körper, das schwarze Haar fiel gewellt nach hinten. Ich hatte das Gefühl zu träumen. Und dann kam dieser Traum auf mich zu, nahm meine Hand und fragte: »Gehen wir nach oben?«
    Ich nickte sprachlos.

 
    W ieder in seinem Zimmer angelangt, suchte Vincent sich ein paar saubere, frische Klamotten aus einem vertäfelten Schrank, der in eine der Wände eingelassen war. Er grinste mich an. »Wolltest du zugucken?« Ich wurde rot und wandte mich ab.
    »Sag mal, Vincent«, sagte ich und tat so, als würde ich mir seine Fotosammlung ansehen, während ich hörte, wie er sich hinter mir anzog. »Hast du kommendes Wochenende Zeit, zu uns zum Essen zu kommen, um meine Großeltern kennenzulernen?«
    »Endlich stellt sie die lang ersehnte Frage. Aber ich muss leider ablehnen.«
    »Warum?«, entfuhr es mir überrascht. Ich drehte mich um, da kam er schon mit belustigter Miene auf mich zu.
    »Weil ich am kommenden Wochenende alles andere als vorzeigbar sein werde. So gern ich deine Großeltern kennenlernen würde, aber ich werde weder sprechen, geschweige denn aufrecht sitzen können.«
    »Oh, und wann genau ruhst du?« Meine Stimme verklang, als der fremde Satz über meine Lippen geglitten war.
    Er schnappte sich sein Mobiltelefon und sah im Kalender nach. »Donnerstag, den Siebenundzwanzigsten.«
    »Da ist Thanksgiving«, sagte ich. »Wir haben Donnerstag und Freitag schulfrei. Wie schade, dass du da keine Zeit hast.«
    »Die Zeit macht vor niemandem halt, besonders nicht vor Wesen meiner Art. Tut mir sehr leid.«
    »Und davor?«, fragte ich. »Heute ist Montag. Wie wär’s mit morgen Abend?«
    Er nickte zustimmend. »Klingt gut. So machen wir das. Ich lerne also die Großeltern kennen? Was soll ich bloß anziehen?«, neckte er mich.
    »Solang du keinen Leichensack trägst, bin ich mit allem einverstanden«, lachte ich und wandte mich wieder den Porträtaufnahmen zu.
    Zwischen all den engelsgleichen Kindern, vom Kampf gezeichneten Soldaten und jugendlichen Gangstern entdeckte ich eine Schwarz-Weiß-Aufnahme von einem jungen Mädchen. Sie hatte eine typische Frisur der 1940er und trug ein geblümtes Kleid. Sie steckte sich gerade ein Gänseblümchen hinter das Ohr. Ihre dunklen Lippen umspielte ein Lächeln. Sie sah atemberaubend aus.
    »Wer ist das?«, fragte ich, obwohl ich die Antwort schon wusste.
    Vincent tauchte hinter mir auf und legte seine Arme um mich. Er roch frisch geduscht, nach Lavendelseife und ein bisschen nach Moschusshampoo. Ich ließ mich gegen ihn sinken und er umarmte mich fest. »Das ist Hélène«, sagte er leise.
    »Sie ist wunderschön«, murmelte ich.
    Er küsste sanft meine Schulter, bevor er sein Kinn darauflegte. »Ich habe es mir selbst nicht erlaubt, an eine andere Frau zu denken, bis ich dich das erste Mal sah. Seit Hélènes Tod habe ich mein

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