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Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Titel: Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Heinzen
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abzutauchen. Doch plötzlich wurde eine Kamera auf mich gerichtet, und bevor ich flüchten konnte, beleuchtete ein Blitz jede Pore meines gequälten Gesichts.
    »Geht’s Ihnen nicht gut?« fragte die Fotografin so laut, dass die Gäste sich nach mir umschauten, als hätte ich gerade eine Krebs-Diagnose erhalten.
    Dann musste ich an einem Checkpoint meinen Namen nennen, worauf ein Sticker in Form einer Tomate an mein Jackett geheftet wurde, was bedeutete, dass ich am Tomaten-Tisch sitzen würde.
    Am Tomaten-Tisch war nur noch ein Platz zwischen zwei pubertierenden Mädchen frei, die den ganzen Abend SMS sendeten. Um mich mit den anderen Gästen zu unterhalten, war der runde Achter-Tisch zu groß. Also beobachtete ich Rolf, schließlich war ich nicht zum Vergnügen hier, wie er mit einem Headset die kleine Bühne betrat und die Gäste begrüßte. Wobei Rolf nur seine Familie und die engsten Freunde namentlich vorstellte. Dann verließ er die Bühne,
während ich mich am Tomaten-Tisch ganz klein machte, weil ich ahnte, was kommen würde. Das, was ich am meisten hasse: wenn im Theater eine Schauspielerin von der Bühne steigt, durch die Reihen geht, sich auf meinen Schoß setzt und fragt, ob ich sie »ficken« will. Hier gab es nur vier Reihen Tische und dazwischen jede Menge Platz. Rolf bewegte sich leichtfüßig zwischen den Gästen, er schien diesen Auftritt zu genießen. Er verriet uns gerade, dass er lange über die Sitzordnung nachgedacht hatte. Seine erste Idee: Man könnte es den Gästen überlassen, sich einen Platz zu suchen. Dann würden sich erfahrungsgemäß die zusammensetzen, die sich schon kennen. Na und, dachte ich, wir sind doch hier, um uns zu amüsieren. Aber Rolf war mit seinen Überlegungen schon einen Schritt weiter: Was wäre, wenn es weniger Plätze gäbe als Gäste, um eine gewisse Fluktuation in die Party zu bringen. Aber damit habe er schon bei den Meetings in seiner Agentur schlechte Erfahrungen gesammelt, machte er alle Hoffnungen auf eine lustige Reise nach Jerusalem zunichte. »Die, die einen Platz gefunden haben«, erklärte Rolf unter dem Gelächter des dankbaren Publikums, »hängen ihr Jackett über die Stuhllehne, wenn sie zum Büfett gehen. Wie die Ballermänner auf Mallorca, die mitten in der Nacht aufstehen, um die Liegen am Pool zu reservieren.«
    Rolf zog sein Jackett aus und legte es seiner Frau um die nackten Schultern, was noch größeres Gelächter auslöste.
    »Wie platziert man die Gäste?« wiederholte Rolf seine Frage, um sie endlich zu beantworten. »Nach Berufen. Das heißt, alle Werber kommen an einen Tisch, den man daran erkennt, dass dort lauter Männer mit dicken Hornbrillen sitzen, in denen Fensterglas ist.«
    Von einem Tisch, an dem lauter Männer mit dicken Hornbrillen mit Fensterglas saßen, kam Gelächter.
    »Oder«, Rolf kam mir bedrohlich nahe, »man fasst die Tische nach Themen zusammen.«
    Ich checkte, wo die Toilette lag, aber Rolf spürte, was ich vorhatte, und versperrte mir den Fluchtweg.

    »Man fasst die Tische nach Themen zusammen«, wiederholte Rolf mit drohendem Unterton in der Stimme – zumindest kam es mir so vor. »Der Tisch mit den Leuten, die mich immer zum Lachen bringen. Der Tisch mit den Freunden, denen ich die glücklichsten Jahre verdanke. Der Tisch mit all jenen, die mir eine zweite Chance gegeben haben, als ich mit meiner ersten Agentur gescheitert war.« Rolf trat an all diese Tische und holte sich den Applaus ab. Es war, als ob er immer mehr Schalter umlegen würde, der Applaus wurde lauter und lauter. Dann stand Rolf vor dem Tomaten-Tisch. »Und der Tisch«, Rolf legte eine Hand auf mein rosa Jackett, »an dem die Leute sitzen, die nicht in die anderen Kategorien passen.«
    Alles lachte, außer den Leuten am Tomaten-Tisch. Wir vermieden es, uns anzuschauen, und jeder war erleichtert, als Rolf das Mikrofon an seine Töchter weitergab, die in einer Powerpoint-Präsentation Rolfs Lebensweg nachzeichneten.
    Dieser Lebensweg erinnerte mich an einen Film über die Erstbesteigung des Mount Everest, den ich als Junge in der Aula unserer Volksschule – damals hieß das noch so – gesehen hatte. Eine rote Linie führte vom Basecamp durch den gefährlichen Khumbu-Eisbruch zu Lager Eins, weiter über die Hochlager Zwei und Drei die steile Lhotse-Flanke hinauf zum Südsattel mit Lager Vier und schließlich über den Hillary-Step auf den Gipfel.
    Auch mit Rolfs Leben ging es stetig bergauf, als hätte Rolf schon in der Wiege beschlossen, 50

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