Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden
vorgesehenen Betrag auf das Konto der Münchner Aids-Hilfe zu überweisen. 24 Stunden vor Beginn der Party brachte ein Bote den von Rolf persönlich gestalteten Button, der zum Eintritt berechtigte, verbunden mit der Aufforderung, die Gäste mögen nicht in Schwarz erscheinen, sondern in fröhlichen Farben. Es ginge nicht darum, über die verlorenen Jahre zu trauern, sondern sich auf das Älterwerden zu freuen. Also hing ich meinen dunklen Anzug, den ich eigens in die Reinigung gebracht hatte, zurück in den Schrank und zog weiße Turnschuhe, eine verwaschene Jeans und ein rosa Jackett an, um wenig später festzustellen, dass ich der Einzige war, der den Dresscode ernst genommen hatte. Ich wollte mich schon wieder unauffällig verdrücken, als mich der Gastgeber entdeckte. Kunststück – ich stach aus der Masse der schwarzgekleideten Gäste heraus wie ein Clown auf einer Beerdigung. So musste ich vorbei an Rolf, seiner Frau, einer ehemaligen Schönheitskönigin, und den beiden blonden Töchtern, die mich anstrahlten, als wären sie Germany’s next Topmodel .
Was wäre, fragte ich mich, wenn ich an Rolfs Stelle das Defilee der Gäste hätte abnehmen müssen?
Martina würde mir nicht zur Seite stehen, weil sie mich wegen Dorata verlassen hatte. Stattdessen würde meine Tochter die Rolle der First Lady übernehmen. Allerdings würde man Nina wegen des schlammfarbenen Twin-Sets, das sie bei solchen Anlässen immer trägt, für die Chefin des Catering-Service halten, wenn man sie nicht direkt übersähe.
Denn obwohl ich recht groß bin und Martina auch, ist unsere Tochter zu kurz geraten. Ob das damit zusammenhängt, dass Martina während der Schwangerschaft gekifft hat?
Auch auf meinen Sohn könnte ich nicht zählen. David würde an der Absperrung eines Grandhotels in den Rocky Mountains stehen, in dem die Führer der Welt – um das Finanzsystem zu retten – einen weiteren Nagel in den Sarg schlagen, in dem sie die Erde zu Grabe tragen. Und wenn er wider Erwarten doch Zeit hätte, würde David die Gelegenheit nutzen, Flugblätter für die Freilassung eines in Guantanamo zu Unrecht einsitzenden Afghanen zu verteilen. Die kleine Rede, die üblicherweise die Kinder bei solchen Events halten, um den Gästen mitzuteilen, was für einen wunderbaren Vater sie haben, würde David nutzen, um dem Saal den Zusammenhang zwischen den steigenden Immobilienpreisen in London und den sinkenden Löhnen in Bangladesh zu erklären. Wenn ich Glück hätte. Wenn nicht, würde er an meinem Beispiel zeigen, dass symbolischer Protest – womit meine Generation ihre besten Jahre vergeudet hat – nichts bringt, um mich dann als abschreckendes Beispiel hinzustellen: der Grüne, der ein 12-Liter-Auto fährt. Der Intellektuelle, der Drehbücher für Telenovelas schreibt. Der Linke, der in Dubai Golf spielt. Danach würde er den DJ machen, das wäre sein Geschenk – kostet schließlich nichts. Zumindest meinen Sohn nicht. Mich würde es den letzten Nerv kosten. Statt endlich Schwung in die müde Party zu bringen, die sich dahinschleppen würde wie mein Vater mit seinem Rollator, würde er allseits beliebte Dancefloor-Knaller wie It’s Raining Men und Billy Jean , die selbst mich zum Tanzen bringen, so schreddern, dass es am nächsten Tag Anzeigen wegen vorsätzlicher Köperverletzung hageln würde. Vielleicht käme zu vorgerückter Stunde Martina mit ihren Freundinnen – alle schlank, attraktiv und finanziell unabhängig – vorbei und würde die Tanzfläche aufmischen, nur um mir zu zeigen, dass es auch ohne mich geht. Sogar besser. Und Holgers Eltern, die ich gar nicht eingeladen hätte,
würden nach einem Opern-Besuch spontan vorbeischauen, um mich mit ihrem Glamour endgültig zum Statisten meiner eigenen Party zu machen. Das wäre der Zeitpunkt, mich unauffällig davonzuschleichen und in die Kneipe zu gehen, wo ich meine Rede hielt, als im No Future der Türsteher eingeführt wurde.
Hier sitzen immer noch die Typen von damals an der Theke. Sie haben immer noch lange Haare, die langsam grau werden, und machen immer noch Headbanging zu Ozzy Osbourne. Ich würde ein paar Bier in mich hineinschütten und irgendwann mitgrölen: Smoke on the water and fire in the sky …
Stopp! Auch wenn ich gerade 50 geworden wäre, so tief würde ich niemals sinken.
Nachdem ich endlich an Rolfs deprimierend perfekter Familie vorbei war, zu der noch ein Golden Retriever gehörte, der artig Pfötchen gab, wollte ich schnell zur Bar, um in einen Drink
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