Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden
Jahre später inmitten seiner Familie, seiner Mitarbeiter, Freunde und Kunden zu sitzen und deren Aufwartung entgegen zu nehmen. Vom Ende her betrachtet, schien dieses Leben einem ganz genauen Plan gefolgt zu sein.
Wie würde meine Powerpoint-Präsentation wohl aussehen, fragte ich mich, während Rolfs blonde Töchter die blonde Mutter auf die Bühne holten, die sich ans Klavier setzte und zusammen mit ihren Töchtern zur Melodie von 99 Luftballons ein selbstgedichtetes Geburtstagsständchen darbot.
Im Unterschied zu Rolf würde es sich bei mir nicht um den Everest handeln, sondern um einen Hügel in den Voralpen. Die rote Linie würde sich irgendwann im Geröll verlieren, ohne sich dem Gipfel jemals zu nähern. Was habe ich schon erreicht in meinem Leben? Keinen Titel – jeder Arsch kann sich »Autor« nennen, und leider tun es auch viele. Keinen Status – der nächste Flopp kann das Ende meiner Karriere bedeuten. Keine unverzichtbare Qualifikation – wer braucht heute noch das Fernsehen? Ich besitze auch kein Spezialistenwissen. Drehbuchschreiben ist nicht leicht, also gute Drehbücher schreiben, die die Leute trotz fünf Werbebreaks aufs Sofa nageln. Trotzdem fühlt sich jeder berufen, meine Arbeit zu beurteilen. Was würde ich manchmal darum geben, Gehirnchirurg zu sein oder Jumbo-Pilot! Da müsste ich nicht mit den Passagieren diskutieren, wann ich den Sinkflug einleiten soll.
Andererseits: Hatte ich nicht alles so gewollt? Nicht den Drill der Väter, nicht das Laisser-faire der 68er. Den Mittelweg. Und hatte ich so gesehen nicht alles richtig gemacht, auch wenn mir das Ergebnis nicht gefiel? Ich war mittelmäßig.
Eine Polonaise, die von Rolfs Töchtern angeführt wurde, riss mich aus meinen trüben Gedanken. Ich klammerte mich am Tomaten-Tisch fest, aber es half nichts – ich wurde von einer Welle des Frohsinns mitgerissen. Eingeklemmt im Schraubstockgriff von Rolfs Frau blieb mir gar nichts anderes übrig, als mitzumachen. Zuerst weigerte ich mich, den schwachsinnigen Text mitzusingen. Aber warum eigentlich? Scheiß drauf! Ich riss einem Kellner ein Glas Prosecco aus der Hand, kippte es in einem Zug hinunter und grölte lauthals mit, dass die Löcher aus dem Käse fliegen.
Nachdem ich mein Leben lang – fast 50 Jahre – immer und überall dagegen gewesen war, gegen die Nachrüstungsraketen, gegen Atomkraftwerke und Hochzeiten in Weiß, wollte ich fünf Minuten lang einfach mal dazugehören.
3
Ich kann’s selbst kaum glauben, aber ich werde am 29. Juli schon 50. Damit ich an diesem Tag nicht allein bin, würde ich gerne mit dir und ein paar anderen netten Leuten im El Barrio feiern. Habe um acht Uhr einen Tisch reserviert. Keine Reden, keine Tränen, kein Stress.
Ich ging in der nächsten Woche noch auf zwei weitere 50. Geburtstage, um mir einen besseren Überblick zu verschaffen. Vielleicht war Rolfs Party ein Ausrutscher, ein Extremfall, und es gab Möglichkeiten, diesen Tag mit Stil zu feiern.
»Come as you are« – zitierte Heidis Einladung den Nirvana-Klassiker. Damit war der Dresscode gemeint, auf den ich diesmal pfiff. Ich ging, wie ich war, von meinem Drehbuchseminar direkt zu der Party und sah genauso aus wie alle anderen Männer hier: Jeans, Turnschuhe, T-Shirt, Jackett. Heidi feierte in der Kneipe, die mein Zuhause wurde, nachdem ich fürs No Future nicht mehr »chic« genug war. Sie hatte einen Tisch reserviert, der normale Betrieb lief weiter.
Wow, dachte ich, es geht auch ohne Powerpoint-Präsentation! Es gab kein Programm, keine Fotos und keinen Tomaten-Tisch. Man setzte sich einfach dazu. Die Kellnerin, die einen sonst immer unfreundlich behandelte, behandelte uns auch heute Abend schlecht: Man sollte die Gerichte bestellen, die seit ewigen Zeiten mit Kreide an eine Tafel geschrieben wurden. Am Ende des Abends würde Heidi bezahlen. Aber wo war Heidi? Ich konnte sie nirgendwo entdecken, um ihr mein Geschenk, einen Bildband von 1961, ihrem Geburtsjahr, zu überreichen. Ich war übrigens nicht der Einzige, der auf diese originelle Idee gekommen war. Ein halbes Dutzend dieser Bildbände stapelte sich in einer Ecke, also wussten mindestens fünf weitere Menschen hier, dass der Bildband für fünf Euro bei Zweitausendeins verramscht wurde.
In Heidi war ich mal verliebt. Wir saßen zusammen in einem Proseminar über Paul Celan. Als der Professor die Themen für die Referate verteilte, gingen gleichzeitig unsere
Finger hoch. Bei einem der darauf folgenden Arbeitstreffen in
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