Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden
meiner WG landeten wir im Bett, was kein weiter Weg war. Weil ich als letzter eingezogen war und das kleinste Zimmer bekommen hatte, war dort gerade mal Platz für einen Schreibtisch, die Stereo-Anlage und eine Matratze, die sowohl Sofa, Esstisch als auch Bett war.
Während ich uns »danach« mit zitternden Händen zwei Zigaretten drehte und mein unverhofftes Glück kaum fassen konnte, schüttete mir Heidi ihr Herz aus. Sie hatte eine Affäre mit dem Professor, der unser Proseminar leitete. Er hatte versprochen, wegen Heidi seine Frau zu verlassen, war aber eingeknickt. Ich war also nur ihre kleine Rache, und die Genitiv-Metapher in Paul Celans Niemandrose blieb unerforscht. Ein paar Monate später stand Heidi mitten in der Nacht mit Sack und Pack vor meiner Tür – sie hatte endlich die Kraft gefunden, den Professor zu verlassen. In diesem Moment kam Martina aus dem Bad. Die beiden Frauen schauten sich schweigend an, und ich fühlte mich im Zentrum dieses Blickwechsels, als würde ein Laserstrahl durch meinen Körper gehen. Heidi zog wegen eines Malers nach London, und ich verlor sie aus den Augen. Dann lag plötzlich die Einladung im Briefkasten.
»Du wirst doch nicht zu dieser Schlampe gehen?!« ereiferte sich Martina, die die Einladung aus Versehen geöffnet hatte.
Warum dürfen Frauen eigentlich Worte benutzen, für die ich gesteinigt würde?
Natürlich hatte ich nicht vor, zu Heidis 50. Geburtstag zu gehen. Ich bin nicht gut in Nostalgie. Wenn ich alte Freunde zufällig auf der Straße treffe, bin ich eher peinlich berührt als freudig erregt. Außerdem finde ich den Gedanken, bald 50 zu werden, erschreckend genug. Warum sich also mit den 50. Geburtstagen der anderen belasten? Welcher Kandidat in der Todeszelle schaut sich Hinrichtungen an, um herauszufinden, wie sich das anfühlt?
Ich warf Heidis Einladung in den Korb mit Altpapier, den
normalerweise Martina zum Container bringt. Dafür schleppe ich die Getränkekisten in den 3. Stock. Aber dann flog die Sache mit Dorata auf, Martina zog in ihre Praxis und das Altpapier blieb liegen. Martina legte ihren Auszug auf ein Wochenende, an dem ich nichts vorhatte. Natürlich hatte ich etwas vor, aber es waren lauter Sachen, die ich nur zusammen mit Martina machen würde: Wir wollten zu einer Ausstellungseröffnung und später mit einem anderen Paar ins Kino. Das konnte ich alles vergessen, sicher hatten diese Freunde – die allesamt Martinas Freunde waren – von meinem Vergehen gehört und würden sich auf ihre Seite schlagen. Was wussten diese Leute, alle noch in den bequemen 40ern, von den Qualen des Älterwerdens?
Damit ich mich nicht schon am Morgen betrank, räumte ich die Wohnung auf und brachte das Altpapier zum Container, wo mir wieder Heidis Einladung in die Hände fiel.
Aus Versehen geöffnet?
Während ich das lustige Männchen betrachtete, das die Einladung zierte – Heidi schrieb Briefe an Kinder, denen niemand schrieb, die Eltern zahlten eine Menge Geld dafür – während ich also diese Mischung aus Urmel und Peter Pan betrachtete, wurde mir schlagartig klar: Martina hatte begonnen, meine Post zu kontrollieren. Warum? Weil sie herausgefunden hatte, dass zwischen mir und Dorata etwas lief? Aber wie? Es gab über die drei, vier Treffen kein schriftliches Protokoll, keine SMS oder E-Mail. Es klingt unglaubwürdig, aber ich besitze nicht einmal Doratas Handynummer.
Diesen Umstand habe ich übrigens zu meiner Verteidigung vorgebracht, als ich Martina die ganze Sache beichtete. »Tut mir leid, Martina, du steigerst dich da in was rein. Ich hab nicht mal ihre Handynummer.«
Ich dachte, das sei die Wende. Der Prozess müsste neu aufgerollt werden, und ich würde am Ende mit einer Bewährungsstrafe davonkommen.
Martina überlegte einen Wimpernschlag, dann schaute sie mich mit ihrem Gletscherblick an und sagte: »Na und?«
»Martina, bitte, so etwas kommt vor. Ich werde demnächst 50. Das ist die Midlife Crisis.«
»Mildlife Crisis? Wie alt willst du denn noch werden?!«
»Mach dich ruhig über mich lustig. Du hast gut reden, du bist erst 46, aber ich bin alt und werde bald sterben.«
»Und deshalb vögelst du die blöde Kuh?!«
Ich wollte Martina schon darauf hinweisen, wo sie denn bliebe, die Frauen-Solidarität, doch ich überlegte es mir anders. Sollte sie ruhig auf die arme Dorata einprügeln, so könnte ich aus der Schusslinie robben. Doch ich hatte mich zu früh gefreut. Martina hatte sich mit Dorata getroffen.
»Du hast dich mit
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