Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden
rief im Schlaf nach ihrer Mutter. In diesem Ambiente war es nicht einfach, Beate so zu fotografieren, dass es nicht aussah wie für eine Medizinvorlesung. Mit einer Infrarot-Lampe, die eigentlich dazu da war, die schlecht durchbluteten Hände der alten Frau zu wärmen, schaffte ich ein wenig Atmosphäre. Dann bat ich Beate, sich freizumachen. Ich sagte tatsächlich freimachen , als wäre ich ein Arzt.
Zögernd öffnete Beate den Reißverschluss ihres Jogginganzugs gerade so weit, dass ihre Brüste freilagen. Die Bilder, die ich anschließend auf dem Display kontrollierte, sahen aus wie Vorher-Nachher-Fotos, mit denen Schönheitskliniken im Internet werben. Wir waren beide nervös, weil jederzeit die Nachtschwester hereinkommen konnte, um den Zustand der alten Frau zu kontrollieren, deren EKG per Datenleitung ins Stationszimmer übertragen wurde. Ihr Herzschlag näherte sich gefährlich einer roten Linie, bei deren Überschreiten ein Alarm ausgelöst würde. Außerdem war die scheckkartengroße Knipse, die mir Beate in die Hand gedrückt hatte, nicht die Art Kamera, mit der ich es gewohnt war, auf Recherche zu gehen. Sie war gut genug, um auf einer Party alberne Fotos zu schießen und ins Internet zu stellen. Aber die Schönheit von Beates Brüsten zu dokumentieren, damit war das billige Ding überfordert. Vor allem der Blitz: Die Fotos wirkten,
als sei ich ein Paparazzo und hätte Beate dabei erwischt, wie sie aus der Dusche kommt. Ohne Blitz wurden die Bilder aber zu dunkel, weil ich die Neonröhre an der Decke nach einem kurzen Test wieder ausgeschaltet hatte – um die frischoperierte Frau nicht zu wecken, aber vor allem, weil das Neonlicht der Szenerie den Charme einer Wursttheke im Supermarkt verlieh. Zum Glück erinnerte ich mich daran, wie die Kameramänner auf den Sets meiner Filme Licht setzten, kletterte auf den Nachttischwagen und klebte mit Pflaster ein rosa Handtuch über die Neonröhre, während Beate meine Beine festhielt, damit ich nicht herunterfiel.
Mit dieser Lichtstimmung würde ich nicht den Oscar gewinnen, aber die Atmosphäre war nun intimer. Nur noch ein Gerät an der Wand störte, mit dem man im Notfall einem erstickenden Kranken Sauerstoff zuführen konnte. Nachdem dieses Gerät hinter einem Bettlaken verschwunden war, begann ich erneut zu fotografieren. Trotzdem sahen die Fotos immer noch aus wie vom Tatort eines Sexualverbrechens. Lag es an mir, dass Beate so verkrampft war und – obwohl sie mich zu diesem verrückten Shooting überredet hatte – alles daran setzte, ihre Brüste nicht zu zeigen?
»Ich kann deine Brüste nicht sehen!«
Zögerlich öffnete Beate den Reißverschluss eine weitere Handbreit, wie früher, als ich meiner ersten Freundin jeden Millimeter mehr nackte Haut in zähen Verhandlungen abringen musste.
»Warum ziehst du die Jacke nicht aus?«
Umständlich schälte sich Beate aus ihrer Joggingjacke.
»And Action!« sagte ich, weil mir nichts Besseres einfiel. Aber Beate nahm diese nicht ganz ernst gemeinte Bemerkung dankbar auf, und während ich in die Rolle des Fotografen schlüpfte, schlüpfte Beate in die Rolle des Models.
»Zeig’s mir, Baby!« Gut, dass ich schon drei Bier getrunken hatte.
Beate wurde mutiger. Sie zog auch ihre Jogginghose aus, fasste sich verspielt ins Haar und warf ihren Kopf zurück. Sie
flirtete mit der Kamera, während ich sie in immer wildere Posen trieb. Beate wand sich um den Ständer mit der Infusion, die in die Armbeuge der alten Frau tropfte. Sie steckte ihre Füße in die Lederschlaufe, die von dem Galgen über ihrem Bett herabhing. Gerade als Beate fauchend wie eine Katze auf allen Vieren auf mich zukroch, kam die Nachtschwester herein.
»Das ist Thomas!« stellte Beate mich vor, während sie sich wieder anzog, als ob das irgendetwas erklären würde.
Obwohl die OP noch Stunden entfernt war, begannen bereits die Vorbereitungen für Beate, weshalb ich mich verabschiedete, nachdem ich den Chip aus der Kamera genommen und gesichert hatte. Beate fuhr mit mir im Aufzug hinunter ins Foyer, wo eine Reinigungsmaschine ihre Runden drehte.
»Das bleibt unser Geheimnis, Tommy!«
Ich reichte Beate zum Abschied die Hand. Sie griff danach und drängte sich an mich, dass ich ihr Herz spüren konnte, das aufgeregt schlug.
»Ich werde am 18. September 50.«
»Machst du eine Party?«
»Ich habe nichts geplant, weil ich nicht weiß, ob ich diesen Tag überhaupt noch erlebe.«
»Ich würde
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