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Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden

Titel: Von der Nutzlosigkeit, älter zu werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Heinzen
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würde, desto höher würde ich im Ansehen der Kinder wieder steigen. Und vielleicht, säuselte der Monkey Mind, könnte ich mit David und Nina meinen 50. Geburtstag bei Jorgos feiern. Die Zwillinge wären auch dabei, die könnte Nina schlecht allein zuhause lassen. Und würde Holger erwartungsgemäß nicht das Fingerspitzengefühl besitzen, meine nicht ernst gemeinte Einladung abzulehnen, würde ich ihn ein Wochenende lang schon ertragen.
    »Und wenn du mal mit Mama redest?« riss mich Nina aus meinen Träumen.
    »Worüber?« fragte ich ratlos.
    »Na, über diesen Scheiß Sammy!« half mir David auf die Sprünge.
    »Und, ähm … was soll ich eurer Meinung nach Martina vorschlagen? Ich bin der Letzte, der den ersten Stein werfen darf. Warum redet ihr nicht selbst mit Martina, wenn euch das so zusetzt?«
    »Ich kann das nicht«, erklärte Nina ernst, während David zustimmend nickte. »Ich kann das einfach nicht.«
    »Du musst die Sache von der positiven Seite sehen«, versuchte ich meine Tochter aufzumuntern. »Sammy kann dir bestimmt ein paar Übungen gegen deine Problemzonen zeigen.«

    Diese Bemerkung ging total nach hinten los. Nina brach wieder in Tränen aus, wie neulich, als ich meine Enkel besuchen wollte.
    »Ihr seid beide widerlich!« Nina warf sich in Davids Arme. Etwas ganz Neues, wo meine Kinder einander doch in herzlicher Abneigung zugetan sind. »Bring mich nach Hause, David«, wimmerte Nina. »Bring mich bitte nach Hause!«
    David half Nina vom Sofa auf und warf mir einen vorwurfsvollen Blick zu, während ich die beiden zur Tür begleitete. »Ihr benehmt euch unmöglich!«
    »Werdet endlich erwachsen!« stieß Nina ins selbe Horn.
    »Wisst ihr, dass ihr verdammt undankbar seid!« rief ich meinen Kindern hinterher, wobei ich das Gefühl hatte, die Stimme meines Vaters würde durch das nächtliche Treppenhaus schallen, der mir immer vorgeworfen hatte, ich hätte den Krieg nicht erlebt.
    Während ich noch darüber nachdachte, wie ich es verhindern könnte, dass meine Familie auseinanderbrach, klingelte das Telefon.
    Wer konnte das sein mitten in der Nacht? David und Nina, die auf dem Weg zur U-Bahn begriffen hatten, dass sie ein bisschen überreagiert hatten und sich bei mir entschuldigen wollten? Oder vielleicht Martina, die David im Kino gesehen hatte und mich warnen wollte, dass die Kinder mir alles brühwarm erzählen würden?
     
    Es war Beate. Sie entschuldigte sich, mich mitten in der Nacht aus dem Bett zu klingeln, aber sie müsse einfach mit einem vernünftigen Menschen reden.
    Vernünftig? Wie relativ doch alles war. Während mir vor nicht einmal fünf Minuten meine Kinder vorgeworfen hatten, unreif zu sein, suchte Beate bei mir Trost.
    »Was ist denn los?« erkundigte ich mich, während ich in der Küche das nächste Bier holte.
    »Ich möchte das nicht am Telefon besprechen.«
    »Okay, aber ist das nicht gegen die Regeln?«

    Beate atmete tief durch. »Bitte, Tommy!«
    30 Minuten später setzte mich ein Taxi vor dem Klinikum Großhadern ab, wo Beate ganz allein in dem leeren Foyer in einem pinkfarbenen Jogginganzug saß wie ein trauriger Tropenfisch.
    »Tut mir leid, Tommy! Aber ich wusste mir nicht mehr zu helfen.« Beate umarmte mich, was gar nicht zu ihrer kühlen, distanzierten Art passte, und fragte, ob sie mir einen Kaffee am Automaten ziehen solle.
    Ich schlug vor, woanders hinzugehen, vielleicht ins No Future , wobei ich mir nicht sicher war, ob Beate im Jogginganzug am Türsteher vorbeikäme.
    »Ich kann hier nicht weg, Tommy.«
    »Musst du noch arbeiten?«
    Beate schaute mich an, während sich ihre grünen Augen mit Tränen füllten, und warf sich schluchzend an meine Brust.
    »Was ist denn los?« fragte ich, während ich sanft über Beates Jogginganzug strich, der sich elektrostatisch auflud, dass es knisterte.
    »Ich habe … Krebs«, kam es stoßweise von meinem T-Shirt hervor, das langsam nass wurde von Beates Tränen. »Brustkrebs. «
    »Wann hast du es erfahren?« Blöde Frage. Gestern, heute – war doch scheißegal. Aber mein Problemlösungskontingent war nach dem Besuch von David und Nina für diese Nacht erschöpft.
    »Vor drei Jahren.«
    Und warum rufst du ausgerechnet heute Nacht bei mir an – fragte ich mich. Drei Jahre, das ist bestimmt kein Zuckerschlecken, aber irgendwie gewöhnt man sich doch daran.
    »Ich habe ein Rezidiv«, erriet Beate meine Gedanken. »Drei Jahre hatte ich den Krebs unter Kontrolle. Aber jetzt strahlt er aus, weshalb die Ärzte eine

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